Fachkräftemangel Fachkräftemangel in Anhalt-Bitterfeld: Wolfgang Nickel will weitere 1.000 Indonesier nach Deutschland holen

Großpaschleben - Abgeneigt ist die Miene von Heiko Landskron nicht. Ganz im Gegenteil. Der Geschäftsführer der Bädergesellschaft Bitterfeld-Wolfen hat die Ohren gespitzt. Damit lauscht er den Worten von Wolfgang Nickel vom Paschlewwer Ferien- und Freizeithof. Unternehmer Nickel hat in punkto Fachkräftesorgen im Gastronomiebereich auf indonesische Auszubildende gesetzt - und sieht sich damit auf einem erfolgversprechenden Zukunftskurs. Sein Wissen gibt er bei Informationsveranstaltungen weiter.
Bisher habe die Bädergesellschaft noch keine ausländischen Azubis betreut. Landskron jedoch steht den neuen Wegen zur Fachkräftegewinnung aufgeschlossen gegenüber. Mit Blick auf die Zukunft sei der Bedarf an Fachkräften in dieser Branche prekär, so bezeichnet es der Bäder-Chef.
Neben Informationen zu dem „Wie“ sei es ihm wichtig, Ansprechpartner für diese Art der Azubi-Generierung zu knüpfen. Weshalb dieser neue Weg interessant ist, erklärt er kurz und knapp. „Die regionalen Erfahrungen sind nicht so positiv“, sagt er. Im Klartext: Zu wenig Bewerber und unter diesen befinden sich zu viele ungeeignete.
1.000 junge Indonesier sollen das große Loch des Fachkräftemangels ein wenig schließen
Die voraussichtliche Konsequenz für 2018 wird daher sein: Seit Jahren gibt es erstmals eine Pause bei der Ausbildung zur Fachkraft für Bäderbetriebe. Entschlösse sich die Bädergesellschaft zur Ausbildung junger, indonesischer Leute, dann müsste neben der Sprache auch die schulische Qualifikation stimmen.
Darüber hinaus ist für Landskron auch klar, dass ein indonesischer Azubi eine „Rundumbetreuung“ benötigt, die sich nach Ende des Ausbildungstages privat und kulturell fortsetzt. Nur Landskrons Frage nach der Abbruchquote in der Lehrzeit bleibt unbeantwortet. Nickels Leute, bei dem selbst neun Indonesier lernen, befänden sich erst im zweiten Lehrjahr.
Eines sei aber schon jetzt sicher: „Wir holen keine Sklaven nach Deutschland, aber junge, höfliche Leute, die auch Bereitschaft für Wochenend- und Schichtarbeit haben“, betont der Großpaschlebener. Mit dem Versprechen, in diesem Jahr 1.000 junge Indonesier nach Deutschland zu holen, will er das große Loch des Fachkräftemangels ein wenig schließen.
Euro-Schulen in Dessau bilden Vietnamesen im Pflegebereich aus
Eiserne Motivation und ein tiefgehender Wille, die Ausbildung in Deutschland zu schaffen, kann auch Sabine Stabbert-Kühl, Standortleiterin an der Euro-Akademie Dessau bestätigen. In einem ähnlichen Projekt bilden die Euro-Schulen nämlich Vietnamesen im Pflegebereich aus. Dass die jungen Menschen - wie von Nickel behauptet - binnen rund drei Wochen die größten Sprachschwierigkeiten überwinden, sieht sie zwiespältig. Aus eigener Erfahrung wisse sie, dass A 2-Level-Deutschkenntnisse für den Start ins Azubi-Leben nicht genügen.
Wolfgang Nickel argumentiert dagegen. Deutschkenntnisse würden einigen Azubi-Kandidaten bereits während der Schulzeit in Indonesien beigebracht. Dort gelte Deutsch in der Oberstufe als Wahlfach. Zudem müssten die indonesischen Auszubildenden vor Ausbildungsstart beim Goethe-Institut einen Deutschtest absolvieren und bekämen darüber hinaus sechswöchige Intensivkurse in Sachen deutscher Sprache.
Ob die Jugendlichen für eine Ausbildung nach Deutschland gehen, werde landestypisch für Indonesien laut Nickel oftmals vom Vater oder Großvater bestimmt. Wie es dann weitergeht? Die Jugendlichen können auf einem Fragebogen ihre Favoritenberufe angeben. So, wie die Plätze frei sind - und sich auf dem deutschen Auszubildendenmarkt kein passendes deutsches Pendant finde - werden die Jugendlichen vermittelt.
Sprachbarrieren wurden durch erhöhtes Kommunizieren auf Deutsch aufgelöst
Allerdings immer bloß im Duo. „Das sind Familienmenschen - allein würden sie zugrunde gehen“, begründet der Unternehmer. „Aber wenn wir nur einen Platz vergeben können?“, fragt Elvia Wallwitz interessiert nach. Mit einer kasachischen Auszubildenden - die allerdings vor ihrer Ausbildung mehrere Jahre in Deutschland lebte - habe der mobile Brotbäcker aus Zerbst gute Erfahrungen gemacht.
Sprachbarrieren wurden durch erhöhtes Kommunizieren auf Deutsch aufgelöst. Doch seit einigen Jahren „sind wir der Ausbildung müde geworden, weil die Kandidaten ungenügend sind“, spielt auch die Chefin auf ungenügende Bewerberleistungen an. Daher nun der Blick in Richtung Ausland.
Entscheide sich der Arbeitgeber für das Angebot, sind an die Ausbildungsbetreuung besondere Voraussetzungen geknüpft: „Kinderfernsehen, damit sie die Sprache gut lernen und WLAN, um mit ihren Familien wegen der Zeitverschiebung sprechen zu können“, zählt Wolfgang Nickel auf.
Nach der Ausbildung liegt es bei den Auszubildenden, ob sie in Deutschland bleiben oder nicht
Weitere Kosten für den Arbeitgeber folgen: So zum Beispiel freie Kost und Logis, im Vorfeld die Finanzierung des Flugtickets von Jakarta bis Frankfurt (rund 600 Euro), der Abholservice vom Flughafen, die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass der junge Mensch von Wohn- und Arbeitsort zur Berufsschule gelangt und wieder zurück. Bestimmte Leistungen, wie etwa die Visa-Gebühren für die drei Ausbildungsjahre, müsste der Arbeitgeber vorfinanzieren und sie in kleinen Raten vom Azubi zurückfordern.
Zuhörerin Claudia Möller gehört zum Restaurant Seensucht in Bitterfeld-Wolfen. Vier indonesische Azubis - zwei Köche und zwei Restaurantfachleute - haben seit Ende Oktober 2017 ihre Lehre begonnen. Die anfänglichen Noten in der Berufsschule: Fünfen. Auch bei Nickel war das so. Erschwerend komme nun aber hinzu, dass sich einer der Lehrlingsköche nicht mit seinem Ausbildungsberuf anfreunden kann.
„Wir wollen nun auch nicht so skrupellos sein und ihn nach Hause schicken“, fragt Möller nach einer Lösungsmöglichkeit. Die besteht laut Industrie- und Handelskammer (IHK) Dessau in einem Änderungsantrag zur Ausbildung. Damit könnte dem Koch-Azubi in Deutschland eine weitere Chance gegeben werden. Und nach der Ausbildung? Dann liegt es bei den Auszubildenden selbst, ob sie in Deutschland bleiben oder nicht, erklärt Nickel. (mz)
