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Erinnerung Erinnerung: Geboren in der Schützenhalle

Von Ute Hartling-Lieblang 18.12.2013, 21:39
Ingrid Schenk wurde in der Schützenhalle geboren, die heute nicht mehr steht.
Ingrid Schenk wurde in der Schützenhalle geboren, die heute nicht mehr steht. Rebsch Lizenz

Köthen/Aken/MZ - Die Schützenhalle, in der Ingrid Schenk im Dezember 1931 geboren wurde, gibt es heute nicht mehr. Sie befand sich dort, wo jetzt das Neubaugebiet am Mannheimer Winkel steht. Ganz in der Nähe des gleichnamigen Schützenplatzes in Köthen und nahe dem „Hummelschen Acker, beschreibt die heute 82-Jährige. Ihre Eltern, Friedrich und Susanne Lindemann, hatten das beliebte Ausflugslokal etwa seit 1930 gepachtet. „Mein Vater war Koch und Konditor, meine Mutter Köchin“, erzählt sie.

Eigentümerin der Schützenhalle war die Privilegierte Schützengilde zu Cöthen 1443. Gleich hinterm Haus befand sich der Schießplatz. Reste davon sind heute noch erkennbar. „Hinter der Schützenhalle befand sich ein wunderschöner Garten mit vielen Kastanien“, erzählt Ingrid Schenk, die dort als Kind gern gespielt hat. Beliebte Aufenthaltsorte waren für sie und ihre Freundinnen im Sommer auch das Stadtbad und im Winter der Teich am Hubertus, wo man Schlittschuh fahren konnte. Das Gelände am Hubertus wurde damals von einem Herrn Elstermann in Ordnung gehalten. „In dessen Bude stand ein Kanonenofen, an dem man sich wunderbar aufwärmen konnte“ schildert Ingrid Schenk.

In ihrer Kindheit wurde die Gaststätte der Eltern von den Köthener Schützen als Vereinslokal genutzt, es kamen aber auch viele Ausflügler aus der Umgebung und junge Leute, die tanzen und sich vergnügen wollten.

In der Erdbeerzeit war immer Schützenfest. Im Garten des Lokals wurden dann Erdbeertorten in großer Stückzahl verkauft, die der Vater selbst gebacken hatte. Weil in der Gastwirtschaft jede Menge Abfälle anfiel, entschlossen sich die Lindemanns irgendwann, Schweine zu halten. Später kamen Hühner und Tauben dazu. Das Grundstück bot dafür genügend Platz.

„Ich war schon in der Schule“, erinnert sich Ingrid Schenk, „da wurde das Schützenhaus zum Lazarett.“ Eine Postkarte, die sie aufbewahrt hat, entstand in dieser Zeit und zeigt Schwestern und Patienten vor dem Haus. „Der große Saal war damals voller Betten, in denen die Verwundeten lagen“, weiß sie. Ihre Mutter war zu jener Zeit für die Verpflegung der Patienten zuständig, der Vater wurde zur Polizei dienstverpflichtet. Später wurde die Schützenhalle dann wieder als Gaststätte genutzt. Damals seien auch die Sportler von Germania 03 öfter dort zu Gast gewesen. Bis kurz nach dem Krieg haben die Lindemanns die Gaststätte betrieben, dann sei ihnen von der sowjetischen Militäradministration die Pacht entzogen worden, sagt die Tochter. „Für meine Eltern war das eine böse Geschichte, es hat sie sehr getroffen.“ An die genauen Umstände kann sich die damals 16-Jährige nicht mehr erinnern.

Wie aus der Chronik der Privilegierten Schützengilde zu Cöthen von 1443 hervorgeht, fand die Enteignung des Vereins 1945 statt, weil man dem Verein wie auch dem Pächter die Nähe zur NSDAP vorwarf.

Das Gelände samt Schützenhalle fiel an die Stadt und wurde später der Firma Fisch-Bienert zur Verfügung gestellt, die dort bis kurz nach der Wende noch produzierte. Einem Antrag auf Rückübertragung durch den 1991 wiedergegründeten Schützenverein wurde von Seiten der Stadt Köthen nicht stattgegeben. Heute befindet sich auf diesem Gelände die besagte Eigenheimsiedlung. Wie Ingrid Schenk erzählt, übernahm ihr Vater später noch eine Gaststätte am Durchbruch in Köthen. An den Namen kann sie sich nicht mehr erinnern. Die letzten Jahre arbeitete er in der Maschinenfabrik und Eisengießerei, deren Kulturhaus im Volksmund „Der blaue Bock“ genannt wurde. Gewohnt hat die Familie lange Jahre in der Bernburger Straße. Ingrid Schenk besuchte später in Köthen die Medizinische Fachschule, um sich als Krankenschwester ausbilden zu lassen. Ihre praktische Ausbildung erhielt sie im Köthener Krankenhaus. Als dem damaligen Chirurgen und Dozenten Kurt Adler 1956 die Leitung des Akener Krankenhauses übertragen wurde, ging Frau Schenk als Stationsschwester mit nach Aken. Bis zu ihrer Rente hat sie dort als Oberschwester gearbeitet. Das Krankenhaus befand sich in den Gebäuden, die zuvor von der Geschäftsführung der IG Farben bewohnt wurden. Diese hatte sich inzwischen in den Westen abgesetzt. Im Akener Krankenhaus gab es anfangs nicht einmal einen Patienten-Aufzug. Die Kranken wurden per Trage durchs Treppenhaus befördert. „Wir waren alles Frauen, die anpacken konnten“, lächelt die gebürtige Köthenerin.

„Dr. Adler hat das Akener Krankenhaus reformiert“, blickt Frau Schenk zurück. Der Einbau eines Fahrstuhls ging ebenso auf ihn zurück wie die Anschaffung moderner medizinischer Gerätetechnik. Als eines Tages mal ein Patient mit einem kaputten Schultergelenk eingeliefert wurde, habe man die Streckschiene mit Steinen aus dem Wald beschweren müssen, schildert Inge Schenk die damaligen Zustände im Krankenhaus.

Erst 1980 ist Ingrid Schenk mit ihrem Mann, der damals bei der Firma Heenemann in Aken arbeitete, in die Elbestadt gezogen. Viele Jahre sind die beiden zuvor bei Wind und Wetter mit dem Motorrad zur Arbeit gefahren. „Es gab einfach keine Wohnung in Aken“, schildert Ingrid Schenk. Heute wohnt sie noch immer in der Nähe der ehemaligen Klinik, die inzwischen zum Objekt für altersgerechtes Wohnen umfunktioniert wurde. Nach der Wende wurde an dieser Stelle das Awo-Seniorenheim neu errichtet. In Aken fühle sie sich noch immer sehr wohl, sagt sie. An die Zeit im Akener Krankenhaus denkt sie sehr gern zurück.

Ingrid Schenk
Ingrid Schenk
Heiko Rebsch Lizenz