Wie eine Fahrt in den Urlaub Dorfidyll statt Großstadt: Eddritz wächst gegen den Trend seit Jahren

Edderitz - Es gibt Dörfer, denen eine Zukunft abgesprochen wird. Nur noch alte Leute leben hier, die Jungen zieht es in die Städte, wo sie Kaufhalle, Schule und Kino nur wenige Meter von ihrer Wohnung entfernt haben.
Schlechte Bus- oder Bahnanbindung, einfallende Häuser oder zu Ruinen verkommene Ställe - so mancher sagt, es ist wenig attraktiv, auf dem Dorf zu leben.
Das sieht Annelie Fiedler völlig anders. „Dörfer haben eine Zukunft“, ist die Ortsbürgermeisterin von Edderitz überzeugt. Und nimmt die Entwicklung ihres Dorfes als Beispiel. Edderitz kann sich seit Jahren über neue Einwohner freuen, die hier ein Haus gebaut haben, beispielsweise im Siedlerweg, im Thomas-Müntzer-Ring und im Gartenweg.
Oder die ein schon älteres Haus gekauft und es modernisiert haben. „Es macht mich stolz, dass viele junge Leute nach Edderitz gekommen sind“, sagt sie.
Vom Großstadtlärm ins Dorfidyll
Zu ihnen gehört beispielsweise Anja Guntsch. Die gelernte Erzieherin ist Edderitzerin, hat ihrem Heimatort aber vor einigen Jahren den Rücken kehren müssen, weil sie hier keine Arbeit fand. Bis nach Bayern hatte es sie verschlagen, wo sie den Lärm der Großstadt München kennenlernte, in der sie sich aber nicht sonderlich wohlfühlte.
Auch die Arbeit dort sagte ihr nicht zu. Sie war als Springer im Hortdienst eingesetzt, musste manchmal zweimal in der Woche den Hort wechseln, erzählt sie. Die heute 35-Jährige kehrte zurück, baute sich ein Haus, in dem sie seit Dezember 2015 lebt. Eine Arbeit hat sie im Familienbetrieb Guntsch gefunden. „Die Ruhe hier im Ort gefällt mir, auch das Seebad, das ganz in der Nähe ist“, sagt sie.
Auch Familie Michaelis hat es nicht bereut, sich in Edderitz niederzulassen. Wie das Leben auf dem Lande ist, testete die aus Halle stammenden Familie zunächst in Ostrau, wo sie ein Haus mietete. „In Edderitz haben wir dann ein Grundstück gefunden, das uns sehr gefiel“, blickt Jens Michaelis zurück. In Halle, so der 52-Jährige, habe man fast alles vor der Haustür gehabt, Einkauf, Kultur und Sport.
Doch eben nicht alles. Jetzt gehört ein Garten dazu, auch für den Hund ist Platz. „Wir wollten raus aus der Stadt. Und wenn wir jetzt nach der Arbeit über die Dörfer nach Hause fahren, ist es immer, als fahren wir in den Urlaub“, schwärmt Michaelis. Er bringt sich aktiv in das Dorfleben ein, war Trainer der Fußball-Männermannschaft und ist seit Dezember vorigen Jahres Vorsitzender des SV Edderitz.
Viele Vereine in Edderitz freuen sich immer über neue Mitglieder
Matthias Baer hat mit seiner Firma Bau-Baer mitgeholfen, so manchen Wunsch nach dem Traumhaus zu erfüllen. Die ortsansässige Firma hat von allen im Ort errichteten neuen Häusern mit Abstand die meisten gebaut. „Wir haben in den vergangenen Jahren in Edderitz insgesamt 16 Neubauten errichtet und durch den Um- und Ausbau älterer Häuser weitere acht Familien nach Edderitz geholt“, berichtet er.
„Wir sind stolz, auf diese Weise ein wenig zur Zukunft unseres Dorfes beigetragen zu haben“, sagt er. Neue Kunden habe er kaum werben müssen. „Die meisten kamen auf Empfehlung.“
„Unser Dorf hat viel zu bieten“, betont Ortsbürgermeisterin Annelie Fiedler. Edderitz habe eine Grundschule, einen Kindergarten und einen Jugendklub. Eine besondere Perle sei das Seebad.
„Unsere Vereine bieten den Bürgern viele Möglichkeiten, sich zu betätigen“, sagt sie und zählt auf: Sportverein, Heimat- und Kulturverein, Tauchklub, Skiklub, Feuerwehr, Volkssolidarität und Westerndorf. „Für mich ist die Zusammenarbeit aller Vereine sehr wichtig. Alle müssen an einem Strang ziehen.“
Ortsbürgermeisterin Annelie Fiedler möchte bis zum Ende ihrer Amtszeit noch mehr Einwohner nach Eddritz locken
Freilich ist Edderitz in den vergangenen Jahren auch manches abhanden gekommen, wie Jens Michaelis bemerkt. „Als wir 2006 hier ankamen, gab es noch Eisdiele, Schlecker, Sparkasse und Fleischer. Schade, dass das alles nicht mehr da ist. Zum Glück ist es bis nach Gröbzig nicht weit.“
Annelie Fiedler hätte es auch lieber gesehen, gäbe es diese Versorgungseinrichtungen noch. „Auf solche geschäftlichen Entwicklungen haben wir als Ortschaftsrat leider keinen Einfluss“, sagt sie.
1.115 Einwohner hat Edderitz gegenwärtig. Ortsbürgermeisterin Annelie Fiedler möchte, dass es bis zum Ende ihrer Amtszeit noch einige mehr werden. „Ich hatte erst vor kurzem wieder eine Anfrage von einer jungen Familie aus Halle-Neustadt. Die möchten gern in Edderitz bauen“, berichtet die 66-Jährige.
„Die Gemeinde hat im Moment keine Baugrundstücke mehr“
Doch sie habe der Familie vorerst keine Hoffnung machen können. „Die Gemeinde hat im Moment keine Baugrundstücke mehr“, sagt sie. Zwar halte der Ortschaftsrat immer mal Ausschau und suche geeignete Flächen.
„Doch vieles ist in Privathand, und die Leute möchten ihr Land nicht verkaufen.“ Und bei dem einen schon stark verwahrlosten Haus hätte Annelie Fiedler auch gern an einen Interessenten vermittelt. „Doch dieses Haus gehört einer großen Erbengemeinschaft, die sich nicht einig wird.“ (mz)