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Die viele Musik und die leckeren Cremeschnittchen

Von LOTHAR GENS 23.10.2008, 16:45

KÖTHEN/MZ. - Und dann erzählt die Tochter des in Köthen geborenen Komponisten Alfred Tokayer, wie sie seinerzeit - da war sie gerade mal vier Jahre alt - über den Markt gegangen ist zum

Café Troitzsch und Cremeschnittchen geholt hat, von der vielen Musik damals im Hause Tokayer, das die Adresse Buttermarkt 9 trug, aber de facto am Holzmarkt stand und in den 80-er Jahren abgerissen worden ist. Und noch viel mehr.

Die Frau, die heute mit ihrem Mann in einem kleinen Dorf in Frankreich lebt, sagt: "Köthen ist jetzt wunderschön. Wir sind alle sehr beeindruckt von der Stadt." Mit "wir" meint sie ihren Mann, die beiden Söhne und den Enkel, die sie begleiten auf ihrer ersten Reise in die Vergangenheit nach Köthen. Diese Vergangenheit hatte es mit der Familie Tokayer jedoch nicht eben gut gemeint.

Denn der Vater von Irene Currie, Alfred Tokayer, war nicht nur Pianist und Komponist, sondern auch Spross (Jahrgang 1900) einer jüdischen Familie. Was für ihn in der Zeit des Nationalsozialismus nichts anderes als Flucht aus Deutschland bedeutete. Aus dem Schuhhaus seiner Eltern führte ihn der Weg 1935 nach Paris, 1936 dann nach London, später wieder nach Paris. Als er 1942 aus dem von Deutschland besetzten Frankreich flüchten wollte, wurde er verhaftet und ins Lager Sobibor deportiert. Dort kam Alfred Tokayer ums Leben, nachdem er in diesem Lager noch einmal kurz mit seinen Eltern zusammengetroffen war.

"Trotz allem, was meiner Familie passiert ist", sagt seine Tochter: "Die Kindheit meines Vaters in Köthen war nahezu idyllisch. Er hatte nicht nur ein gutes Elternhaus. Er konnte in seinem Milieu aufblühen. Er war ein glücklicher Mensch, der bis zum Schluss Hoffnung und Glauben hatte. Alles weist auf eine glückliche Kindheit und Jugend hin, die ihm dafür die Grundlage gegeben hat. Auch dafür, sein kurzes Leben mit Mut zu leben."

Die Grundlage wohl auch für seine Musik, die Donnerstagabend - intoniert vom französischen Ensemble "Voix Etouffées" (Verstummte Stimmen) - während eines Konzerts im Bach-Saal in seiner Heimatstadt erklungen ist. Im Gedenken an den 70. Jahrestag der so genannten "Reichskristallnacht" und die damit verbundenen Verbrechen der Nazis an der jüdischen Bevölkerung.

Irene Currie, Tokayers Tochter, hat sich am Donnerstag ins Goldene Buch der Stadt Köthen eingetragen. Sie war am Abend dabei, als im Bach-Saal unter Leitung von Amaury du Closel Musik aus der Feder ihres Vaters und weiterer jüdischer Komponisten erklang. Und sie sagt: "Ich glaube nicht, dass ich das letzte Mal in dieser schönen Stadt gewesen bin."