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Brücke am Güterseeweg Brücke am Güterseeweg in Köthen: 1.035 Tonnen wie von Geisterhand eingeschoben

Von Matthias Bartl 30.10.2017, 09:08
Der Einschub hat begonnen. Nun muss die Brücke dorthin transportiert werden, wo einst die alte Brücke stand und die Gleise angeschlossen werden können.
Der Einschub hat begonnen. Nun muss die Brücke dorthin transportiert werden, wo einst die alte Brücke stand und die Gleise angeschlossen werden können. Rebsch

Köthen - 15.41 Uhr. An einem Sonntag beste Kaffee- und Kuchen-Zeit. Oder die beste Zeit, eine Brücke an die richtige Stelle zu schieben. Keine simple Bretterkonstruktion für den Graben hinterm Garten wohlgemerkt, sondern ein 1 035-Tonnen-Ungetüm von Eisenbahnbrücke im Köthener Güterseeweg. Monatelang haben die Männer der Firma Grötz an dem Betonklotz gebaut - jetzt muss er in seine Endposition gebracht werden.

Sturmtief "Herwart" verschiebt den Start der Bauarbeiten

Um 15 Uhr hatte sich die Baustelle plötzlich belebt. So stark, wie sie eigentlich schon am Sonntag nachts um 4 Uhr hätte belebt sein sollen. Ursprünglich war dies die Startzeit gewesen für den Einschub des Brückenkörpers in die Lücke, die die alte, inzwischen abgerissene Eisenbahnbrücke hinterlassen hat. Allerdings hatten die Planer die Rechnung ohne „Herwart“ gemacht.

Das Sturmtief war in der Nacht auch über den Altkreis Köthen hinweggefegt und hatte buchstäblich die Mannschaft weggepustet, die den Brückenbau vollenden sollte. „Bis zu einer Windgeschwindigkeit von 45 Kilometern pro Stunde hätten wir arbeiten können“, sagt Kay Kermer, Projektleiter der Deutschen Bahn. So habe es der Statiker berechnet.

Gefährliche Böen bereiten große Sorgen

So unglaublich das angesichts des Betonriesen erscheinen mag: Fallen die Böen stärker aus, kann sich die Brückenkonstruktion verdrehen - hängt sie erst einmal an einem Gerüst in der Luft und wird per Hydraulik Meter für Meter vorgeschoben, können die Kräfte des Windes für erhebliche Schäden an der Brücke sorgen. Und in der Sonntagnacht zeigten die Windmessgeräte gleich mal 90 km/h an.

„Da haben wir entschieden, den Einschub auszusetzen“, sagt Kermer knapp. Leicht gefallen ist diese Entscheidung dem Projektleiter mit Sicherheit nicht, auch wenn dazu keine Alternative geblieben war. Denn wenn bei der Bahn gebaut wird, spielt die Planung eine Hauptrolle. Nicht zuletzt, was die zeitlichen Abläufe angeht. Die fünftägige Sperrpause für die Eisenbahnstrecke Köthen-Magdeburg, die über die Brücke hinwegführt, haben die Bauleute zweieinhalb Jahre vorher angemeldet.

Fünf Tage Zeit für Abriss und Neuaufbau

Fünf Tage haben sie Zeit, die alte Brücke abzureißen, die direkt daneben auf dem Güterseeweg aufgebaute neue Brücke an die Stelle der alten zu installieren. „Am 1. November 2017, 4 Uhr morgens, muss der erste Zug hier entlangrollen“, sagt Kermer. Das sei so sicher wie das Amen in der Kirche.

Rund vier Millionen Euro kostet die neue Brücke

Das „Gebetbuch“ zu diesem Amen hängt und steht in der schmucklosen Baubaracke am Übergang vom Güterseeweg zur Baggerkiete. Im Büro von Kai-Uwe Gast finden sich zahlreiche Bauzeichnungen und etliche Ordner voller Unterlagen zu dem Bau, der immerhin an die vier Millionen Euro kostet.

Gast, Polier der bauausführenden Firma Grötz, muss das alles im Blick behalten. Die Zeit, die zur Verfügung steht, die Qualität der Brücke, ihre genauen Abmaße. „Toleranz plus minus Null“, unterstreicht er - wird die Brücke nach dem Vorschub abgesetzt, muss sie millimetergenau in die „Scharte“ der alten Brücke passen. Und „Zeit ist auch plus minus Null“, sagt Gast.

Was sich darauf bezieht, dass der verspätete Start für den Vorschub die noch folgenden Maßnahmen schon zu einer Art Wettrennen macht. Denn so bleibt weniger Zeit für das Verfüllen der beiden Böschungsbereiche und das Wiederverlegen der Gleise auf der Brücke. „Wir haben natürlich darüber nachgedacht, wo und wie wir die verlorene Zeit kompensieren können“, sagt Kay Kermer. Man hat den Fuhrpark vergrößert, um die Arbeiten nach dem Einschub durch mehr Technik forcieren zu können.

22 Meter Schubweg sind zu überwinden

15.41 Uhr. Der Wind ist weg, „ganz wie es der Wetterdienst vorhergesagt hat“, würdigt Kermer die verlässliche Prognose der Wetterfrösche. Die Brücke hängt jetzt in der Luft. Um etwa fünf Zentimeter ist sie durch ein Gerüst angehoben worden, das die Firma Weise, deren Job das Einschieben der Brücke ist, unter der Brücke errichtet hat. Mittels hydraulischer Pressen wird das Bauwerk erst geliftet, später geschoben. Rund einen Meter Vorschub schafft man pro Arbeitsgang, um mehr als 22 Meter muss die Brücke insgesamt bewegt werden. Einige Stunden wird das dauern, so dass man - wenn alles reibungslos abläuft - noch vor Mitternacht auf Montag damit fertig sein könnte.

Das Einschieben selbst geschieht unspektakulär, wie von Geisterhand. Die Schubpressen laufen auf Stahlschienen, zwischen Gerüst und Schienen sorgen mit Schmierstoff bestrichene Teflonplatten für ein leichteres Gleiten hin zum Zielort der Brücke, wo am Sonnabend noch ein zwei Meter dickes Fundament aus Stampfbeton in stählerne Schalungen gegossen wurde. Das wird der Brücke den notwendigen Halt für die nächsten Jahrzehnte geben, ist Gast sicher.

Güterseeweg bleibt gesperrt bis 10. November

Bis zum 10. November bleibt der Güterseeweg komplett gesperrt. Aber auch danach wird es noch keine ungehinderte Durchfahrt unter der neuen Brücke hindurch geben. Noch seien kleinere Arbeiten an der Brücke zu erledigen, sagt Kermer, daher bleibe es noch für einige Zeit bei der halbseitigen Sperrung samt Ampelregelung.

Aber sicher sei, sagt der Projektleiter augenzwinkernd, dass der Güterseeweg anders als von manchem Beobachter gedacht nicht schmaler geworden sei und auch nicht schmaler werde und dass die erst 2016 grundhaft erneuerte Straße durch den Brückenbau keinen großflächigen Schaden genommen habe. Nur dort, wo das Fundament für die neue Brücke angelegt werden musste, war der neue Asphalt entfernt worden - „und diese Anschlüsse lassen wir wieder instandsetzen“. (mz)

Widerlager und Flügel der neuen Brücke.
Widerlager und Flügel der neuen Brücke.
Rebsch
Letzte Handgriffe vor dem Start zum Einschieben der 1.035-Tonnen-Brücke
Letzte Handgriffe vor dem Start zum Einschieben der 1.035-Tonnen-Brücke
Rebsch