Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: Schornstein fällt auf den Punkt genau
aken/MZ. - Hunderte Schaulustige zog es am Samstagnachmittag in die Flurstraße in Aken. Von hier aus konnten sie am besten ein Spektakel beobachten, das schon wieder zu Ende war, kaum dass es begonnen hatte: Die Sprengung eines großen Schornsteins auf dem Gelände der Woodward Governor Germany GmbH. Der 60 Meter hohe Riese aus Stahlbeton kippte innerhalb weniger Sekunden genau in das für ihn vorbereitete Fallbett. Alles klappte reibungslos, die Zaungäste bedankten sich für das seltene wie kurze Schauspiel mit viel Beifall.
Zufriedenheit machte sich auch bei den beiden Sprengmeistern breit. "Der Kamin ist planmäßig gefallen", resümierte Eduard Reisch aus dem bayerischen Landsberg am Lech. Er nahm nach der Sprengung den zerbrochenen Schornstein nochmal in Augenschein und zeigte auf eine Markierung in etwa 30 Metern Entfernung. "Das war die geplante Falllinie, und die passt." Sein Kollege Wolfgang Giessler aus der Nähe von Eisenhüttenstadt wartet derweil mit einigen technischen Einzelheiten auf. "Wir haben 27 Löcher gebohrt. In jedes kamen 60 Gramm Sprengstoff hinein. Das sind nicht mal zwei Kilogramm. Die haben aber gereicht", informierte Giessler. Gesprengt worden sei nur der Sockel. Der Sprengstoff habe den Betonmantel zerstört, so seien die Eisenstäbe frei geworden und konnten sich verbiegen. Für das Umstürzen habe das Gewicht des Schornsteins gesorgt.
Für Jürgen Wolf, Facility-Manager bei Woodward, begann schon am Morgen die Arbeit. Um sechs Uhr hatte die Nachtschicht Feierabend, danach sei der gesamte Betrieb kontrolliert worden, um sicher zu gehen, dass sich niemand mehr in den Gebäuden aufhält. Am Vormittag fanden sich dann 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein, die als Sicherungsposten das Gelände weiträumig absperrten. Auch Polizeibeamte waren zur Sprengung vor Ort.
"Der Schornstein wurde allmählich zur Gefahr. Ein paar Mal bröckelten Betonteile herunter. Wir mussten handeln", schilderte Jürgen Wolf, der seit 48 Jahren im Betrieb ist und hier "jeden Grashalm" kennt, wie er bemerkte. Und so konnte sich Wolf auch gut daran erinnern, wann der Schornstein gebaut wurde. Das war im Jahr 1980. "60 Meter hoch aus Stahlbeton, der Außendurchmesser 2,54 Meter, der Innendurchmesser 1,60 Meter, erbaut von einem Magdeburger Spezialbetrieb", nannte Wolf einige Daten. Bis zum Jahr 1990 diente der Schornstein als Rauchabzug für das Heizhaus, das mit Kohle befeuert wurde. 1990 sei die Heizung auf Öl umgestellt worden, der Schornstein wurde nicht mehr benötigt. Obwohl die Esse nur noch herumstand - Kosten hat sie dennoch verursacht. "Ein solches Bauwerk muss alle zwei Jahre von Spezialisten kontrolliert und von innen befahren werden. Eine solche Aktion kostet jedes mal zwischen2 500 und 3 000 Euro", berichtete Jürgen Wolf. Da in absehbarer Zeit auch Instandhaltungsarbeiten notwendig geworden wären, sei die Entscheidung gefallen, die unwirtschaftliche Esse wegzunehmen.
Laut Jürgen Wolf wäre es auch möglich gewesen, den Schornstein von oben her Stück für Stück abzutragen. Die Kosten dafür hätten sich zwischen 99 000 und 110 000 Euro bewegt. "Eine Sprengung ist finanziell wesentlich günstiger. Sie ist allerdings mit einem deutlich höheren Aufwand in der Vorbereitung verbunden", erläuterte Wolf.
Die Sprengmeister Reisch und Giessler arbeiten seit mehreren Jahren zusammen. "Teamarbeit ist bei solchen großen Brocken von großem Vorteil", betonte Giessler. Seit der Wende hat er über 500 Schornsteine gesprengt. "Nächstes Jahr ist damit Schluss. Ich gehe in den Ruhestand."