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Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: Hinsdorfs «Macher» zieht sich zurück

Von LOTHAR GENS 01.08.2010, 15:44

QUELLENDORF/MZ. - "20 Jahre lang habe ich geübt, damit ihr zuhört, was ich sage", fasst Günther Fischer launig seine Zeit als Geschäftsführer der Agrarproduktions- und -handelsgenossenschaft Hinsdorf (APH) zusammen, als er am Samstag Abschied nimmt von dem Betrieb, der getrost als sein Lebenswerk gelten darf, den Staffelstab der Geschäftsführung weitergibt an seinen Nachfolger Quirin Forster und vor den rund 130 Beschäftigten und den Gesellschaftern der Genossenschaft spricht, unter denen noch etwas Volksgemurmel vorherrscht.

Als Ruhe eingekehrt ist, gibt er Einblicke in das bewegte Leben eines Mannes, der die Landwirtschaft mit der Muttermilch eingesogen hat und sein in vielen Jahren erworbenes Wissen nebst seinen Talenten u. a. dazu nutzte, aus der ehemaligen LPG Hinsdorf das zu machen, was die APH heute ist: ein Agrarbetrieb, der 10 600 Hektar Land bewirtschaftet (von denen sich 2 600 Hektar im Unternehmenseigentum befinden), der im Firmenverbund auch Milchproduktion mit 600 Kühen und Nachzucht betreibt, ebenso zwei Supermärkte, eine Tankstelle, eine Autowerkstatt und einen öffentlichen Imbiss und darüber hinaus in Ungarn einen landwirtschaftlichen Betrieb erfolgreich führt. In Europas Landwirtschaft ist die APH in ihrer Betriebsform eines der größten Unternehmen. Auch daran hat Fischer ungemein viel Anteil.

1948 in Fraßdorf geboren, hatte Günther Fischer während der Kindheit keine Großeltern, die sich um ihn kümmern konnten. Konsequenz: Wenn die Eltern, die einen kleinen Bauernhof mit 20 Hektar Land und Vieh bewirtschafteten, arbeiteten, war Klein-Günther mit dabei. 1955 in Meilendorf eingeschult, erinnert sich Fischer, dass er später - mit ungefähr 14 Jahren - bereits wusste, was er beruflich machen würde, ohne dass ihm das jemand gesagt habe: Landwirtschaft. Und er habe seinen Weg immer selbständig bestimmt.

Später machte er in Neugattersleben im Bildungsgang Beruf mit Abitur die 11. und 12. Klasse. Es folgten das Studium zum Diplomlandwirt in Halle (Abschluss mit "sehr gut") und der erste Einsatz in der damaligen LPG "John Schehr" Großbadegast, einer mit dem so genannten langen Namen: "mit "zeitweilig niedrigem Produktionsniveau". Fischer: "Quasi pleite." Wo er ob seiner kompromisslos fordernden Art zum ersten Mal und noch einige Male aneckte. Eine Tendenz, die sich - egal ob in Bezug auf Beruf oder Partei - später wie ein roter Faden durchs sozialistische (zuletzt als stellvertretender Vorsitzender der LPG Hinsdorf) wie auch kapitalistische Berufsleben des Günther Fischer ziehen sollte.

Er selbst formuliert es so: "Mir wurde meine persönliche Schwäche, die ich auch heute noch habe, zum Verhängnis: Über das, was gut und richtig ist, braucht man nicht zu reden. Das ist für mich selbstverständlich. Aber sicher auch heute ein Fehler. Wer hat schon mal ein Lob von mir gehört? Kaum einer, wa?" Seine Arbeit gut zu machen, das sei das Normale. Aber Negatives schonungslos ansprechen, das habe den Genossen damals eher nicht gepasst. Doch selbst nach einer ausgeschlagenen Auszeichnung konnte nichts und niemand den Weg des Günther Fischer bremsen. Der schließlich dazu führte, die LPG Hinsdorf durch die Wirren der Wende zu führen und mit allen Schwierigkeiten - schon allein das Eigentum und die Altschulden betreffend - zur APH zu machen. Euphorisch sei er damals nicht gewesen - wie jedoch die meisten anderen.

Nachfolger Forster bescheinigt: Fischer habe die Fährnisse der Situation erkannt. Aber er zeigte auch Haltung. Quirin Forster, an Fischer gewandt: "Du sagtest immer, wir können das auch. Und vor allem, wir können das selber." Fischer habe damals die richtige Betriebsform, die der Genossenschaft, erkannt und die anderen davon überzeugt. Dieser Einstellung sei es zu verdanken gewesen, dass es zu keiner Liquidation oder kampflosen Übergabe an Dritte gekommen sei. Vielmehr habe Günther Fischer damit den Weg geebnet für die erfolgreiche Entwicklung der APH. Fischer ließ niemanden im Unklaren darüber, warum er bereits jetzt, mit 62 Jahren, endgültig in den Vorruhestand wechselt: "Ihr wisst selbst, wie viele Arbeitskollegen aufgrund des hohen Arbeitskräftebesatzes aus LPG-Zeiten durch mich in den vorzeitigen Ruhestand geschickt werden mussten." Das sei in fast allen Fällen sozialverträglich gelungen. So sei es nur logisch, dass auch er selbst entsprechende Vorruhestandsregelungen in Anspruch nehme und das Nachrücken der nächsten Generation ermögliche.

Seiner nunmehr ehemaligen Belegschaft gab er noch seine Lebensmaxime mit auf den Weg: "Geht nicht gebückt, geht nicht gebeugt, geht aufrecht, frei und mit erhobenem Kopf. Erhebt aber nie euren Kopf über andere. Und bleibt vor allem eins - bescheiden."