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Workshop in Jessen Workshop in Jessen: Informationen über künftige "Stromautobahnen"

Von Gabi Zahn 06.09.2015, 08:45
Dieser Ausschnitt aus der Visualisierung zeigt die in der Entwicklung befindliche Compact-Line-Trasse (links) im Vergleich mit den herkömmlichen Stahlgittermasten und Leitungen.
Dieser Ausschnitt aus der Visualisierung zeigt die in der Entwicklung befindliche Compact-Line-Trasse (links) im Vergleich mit den herkömmlichen Stahlgittermasten und Leitungen. FRaunhofer Institut IFF Magdeburg Lizenz

Jessen - Wie müssen Hochspannungsleitungen künftig gebaut werden, damit sie mehr Akzeptanz in der Bevölkerung finden? Netzbetreiber 50Hertz sieht eine Möglichkeit in der Entwicklung von kürzeren Strommasten und weniger durchhängenden Leitungen. Ziel sei es demnach, die Ästhetik dieser Bauanlagen bei voller Funktionalität und ohne Sicherheitsabstriche mit dem Landschaftsbild und dem regionalen Wohnumfeld besser in Einklang zu bringen, heißt es aus der Firma. Mit Hilfe einer Studie, in die auch die Stadt Jessen als einer von drei Standorten (neben Stralsund und Zwickau) eingebunden ist, will das Unternehmen Reaktionen im regionalen Umfeld erforschen. Experten von der City Analytics GbR Berlin unter Leitung von Dr. Leon Hempel sind mit der Durchführung der Studie „Innovative Designs von Freileitungsmasten“ beauftragt und luden deshalb zu einem Workshop in den Gastraum der Bowlingbahn am Schlossparkcenter ein. Vor allem hiesige Kommunalpolitiker hatten diesen Termin wahrgenommen.

„Recht spannende“ Materie

Was sich in der Einführung für den Laien zunächst etwas seltsam anhört, erweist sich schon bald als „recht spannend“. So wertet Wolf-Rüdiger Engel aus Schweinitz die gezeigten 3D-Visualisierungen. Mit ihrer Hilfe unternehmen die Teilnehmer virtuelle Spazierfahrten durch die Umgebung, vom neuen Umspannwerk aus in Richtung Schweinitz, Dixförda und Kleinkorga, also hin zu Orten, die von der Stromtrasse tangiert werden.

Die erste „Reise“ führt den Ist-Zustand vor Augen: Zu sehen sind die real vorhandenen mehr als 40 Meter hohen Stahlgitterkonstruktionen – die auch „Donau-Masten“ genannt werden. Die Leitungsstränge hängen weit durch. Eindeutiger Tenor: An diesen Anblick ist man zwar gewöhnt. Schöner wird er deshalb nicht. Die Landschaft wirkt „wie zerschnitten“. Auch von „Unwohlsein“ beim Queren der Trassen ist mehrfach die Rede, ebenso von einem geänderten Gewitterverhalten.

Die nächsten Visualisierungen offenbaren die favorisierten neuen Gestaltungsoptionen von Freileitungen. Die Masten, als „Compact Line“ vorgestellt, sind laut Projekt nur 32 bis 36 Meter hoch. Die Trassenbreite sinkt von etwa 72 Metern auf 40 bis 55 Meter (jeweils inklusive Schutzstreifen). Neu zu entwickelnde Stromseilaufhängungen und Isolatorenketten sollen dies ermöglichen. Gut zu wissen: Compact-Line-Masten werden aus Beton gefertigt und können je nach Landschaftstyp unterschiedlich farbig gestaltet werden. Mitarbeiter des Fraunhofer Institutes Magdeburg, die für die 3D-Visualisierung verantwortlich zeichnen, führen auch solche Varianten vor Augen. Dazu entspinnt sich eine Pro-und-Kontra-Diskussion mit dem Konsens, dass Compact Line etwas besser abschneidet.

Fragebögen ausgefüllt

Mit der Bitte, für die Akzeptanz-Studie Fragebögen auszufüllen, hat keiner der Workshop-Teilnehmer Probleme. Auf der Grundlage des virtuellen Spaziergangs wird ausschließlich nach persönlichen Eindrücken gefragt: Bei welcher Trasse wird das Landschaftsbild mehr „zerschnitten“? Welche Bauweise wäre für Wohnumfeld und Lebensqualität der Anwohner besser verträglich? Auch der Grad möglicher Einschränkungen für Land- und Forstwirtschaft, Industrie und Tourismus sind von Interesse, ebenso das erforderliche Maß von Ausgleichspflanzungen. Im Gespräch wird deutlich: Glücklich ist niemand, der in seiner Umgebung auf Hochspannungsleitungen blickt.

Fakt ist aber auch: Der Strombedarf wächst, und die Energie wird umweltschonender denn je erzeugt. „Genau das macht aber den Bau neuer Umspannwerke und Freileitungen erforderlich“, erklärt Dirk Manthey, bei 50Hertz verantwortlich für Projektkommunikation. „Einst wurde Energie zentral in Braunkohle- und Kernkraftwerken erzeugt, dort verstromt und über Hochspannungsleitungen ins Land geschickt. Jetzt erzeugen zunehmend mehr dezentral gelegene Windkraftanlagen einen Großteil des Stromes. Deshalb muss die Energie eingesammelt werden, um sie dahin zu transportieren, wo sie letztlich gebraucht wird. Diese Aufgabe hat auch das Jessener Umspannwerk. Der Verteilnetzbetreiber Mitnetz in Halle braucht diese Anbindung an die Stromautobahn“, zeigt Manthey auf.

Vorerst ein Experiment

Die Entwicklung neuer Masten sei jedoch vorerst ein Experiment. Ebenso wie Hempel im Workshop macht Manthey im MZ-Gespräch deutlich, dass die Forschung für Compact Line noch nicht so weit vorangeschritten ist, um diese Modelle für die jetzt im Jessener Land entstehende neue Trasse zu nutzen. Er wägt jedoch ab: „Wenn die technische Erprobung bei der Planung einer zweiten Einschleifung weit genug gediehen ist, könnte man sie in Abstimmung mit allen beteiligten Institutionen realisieren. Ob es dazu kommt, sei aber noch nicht absehbar.

Im April dieses Jahres sprach 50Hertz gegenüber der Nachrichtenagentur dpa davon, dass im Jahr 2017 nach erfolgreichen Tests von Compact Line eine zwei Kilometer lange Pilotstrecke in Betrieb gehen könne. Ein konkreter Standort wurde nicht angegeben.

Im aktuellen Gespräch mit der MZ hebt Manthey die Wichtigkeit der Akzeptanz-Studie hervor: „Wir wollen wissen, wie unsere Ideen in der Öffentlichkeit ankommen. Deshalb holen wir die Meinung von Fachleuten aus Politik, Umweltschutz und allen Bereichen der Volkswirtschaft ein. Wir brauchen aber auch die Resonanz der Menschen vor Ort für die Bewertung unserer Ideen: Wo liegen wir richtig, und was müssen wir eventuell korrigieren? Dafür war auch die Veranstaltung in Jessen bedeutsam“, fasst er zusammen.

Im Laufe des Workshops nahm Sozialwissenschaftler Leon Hempel jedoch auch sehr deutlich wahr, dass sich die Jessener größtenteils weniger um mögliche Landschaftsbeeinträchtigungen durch Stromtrassen sorgen, als um den Hochwasserschutz an Schwarzer Elster und Elbe. Auch die Probleme mit der Gerbisbacher Schweinemastanlage wurden mehrfach angesprochen.

Zur Erklärung: Das Unternehmen 50Hertz hat seinen Sitz in Berlin. Es ist einer der vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber und zuständig für das Hochspannungsnetz im Osten Deutschlands sowie im Raum Hamburg mit einer Gesamtlänge von etwa 10 000 Kilometern.

Im Einzugsbereich entstehen nach eigenen Angaben etwa 40 Prozent des in Deutschland erzeugten Windstromes. 50Hertz beschäftigt gut 900 Mitarbeiter. Eines von sieben Regionalzentren befindet sich in Bad Lauchstädt (Sachsen-Anhalt.) Für Jessen zuständig ist jedoch das Regionalzentrum in Lübbenau (Brandenburg). (mz)

Mit Sozialwissenschaftler Dr. Leon Hempel (3.v.r.) und seinen Mitarbeitern diskutieren die Teilnehmer des Jessener Workshops auch während einer Pause angeregt weiter.
Mit Sozialwissenschaftler Dr. Leon Hempel (3.v.r.) und seinen Mitarbeitern diskutieren die Teilnehmer des Jessener Workshops auch während einer Pause angeregt weiter.
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