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Vor 100 Jahren Versailler Vertrag setzt Annaburger Geschichte ein Ende

Rund 160 Jahre lang war Annaburg bis 1921 Teil der Militarisierung des gesellschaftlichen Lebens. Ein Rückblick

07.05.2021, 07:08
Das Annaburger Schloss mit seinen Nebengebäuden war Sitz der früheren Militär-Knaben-Erziehungsanstalt.
Das Annaburger Schloss mit seinen Nebengebäuden war Sitz der früheren Militär-Knaben-Erziehungsanstalt. (Foto: Frank Grommisch )

Annaburg

Vor 100 Jahren endete die Geschichte der Militär-Knaben-Erziehungsanstalt in Annaburg. Daran erinnerte unlängst Karin Reihs vom Verein Porzellaneum Annaburg in einer Mail an die Redaktion. Der Verein kümmert sich bekanntlich nicht nur um die Geschichte des Porzellanwerkes in der Schloss- und Heidestadt, sondern engagiert sich generell, die Historie und die Histörchen der Stadt in Erinnerung zu halten.

Karin Reihs übersandte der MZ-Redaktion einen Artikel, den der frühere Stadtchronist Edwin Kretzschmann 1997 unter dem Titel „Die Garnison der Kleinen“ veröffentlichte. Kretzschmann entnahm seine Informationen wohl einer zeitgenössischen Beilage zur Nr. 66 der Annaburger Zeitung. Er schrieb:

„Die Militär-Knaben-Erziehungs-Anstalt bewohnte das Annaburger Schloss, das 1572 bis 1575 vom sächsischen Kurfürstenpaar August und Anna erbaut worden ist. Im Jahr 1762 erhielt das einsame geräumige Gebäude eine neue Bestimmung. Am 15. August wurden in seinen Mauern die 250 Zöglinge des von August III., Kurfürst von Sachsen und König in Polen, 1738 in Dresden-Neustadt gegründeten Soldaten-Knaben-Instituts untergebracht.

530 Soldatensöhne

Am 5. Juni 1815 kam Annaburg zu Preußen und 1823 erhielt die Anstalt die Bezeichnung ‚Militär-Knaben-Erziehungs-Institut‘. Es beherbergte in den Jahren vor dem Weltkrieg alljährlich rund 530 Söhne ehemaliger Soldaten vom elften Lebensjahr bis zur Einsegnung und hatte die Bestimmung, seinen Zöglingen unentgeltlich eine derartige Erziehung und schulwissenschaftliche Bildung zu gewähren, dass dieselben befähigt wurden, zu einer Unteroffiziersvorschule oder zur Schiffsjungendivision überzutreten oder einen praktischen Beruf zu ergreifen.

Die Unteroffiziersvorschule war eine Tochteranstalt des Militär-Knaben-Erziehungsinstitutes Annaburg. Während schon am 14. April 1842 die Unteroffiziersschule nach Potsdam verlegt wurde, blieb die Militärschule dauernd in Annaburg. Im Jahre 1878 wurde dort ein zweijähriger Kursus eingerichtet, für Knaben, die mindestens 15 Jahre alt und eingesegnet waren. Danach erfolgte der Übertritt in die Unteroffizier-Schule nach Weißenfels. So trug die Militärschule den Charakter einer Unteroffizier-Vorschule, die als solche 1881 die neuerbaute Kaserne bezog. Sie wies nun ständig 250 Zöglinge in zwei Kompanien auf.

Die beiden Anstalten gaben der Stadt ihr Gepräge. Nach dem Versailler Vertrag, der dem verlorenen Ersten Weltkrieg folgte, mussten alle Anstalten und Einrichtungen, die militärischen Zwecken dienten, aufgelöst werden. So erfolgte zum 1. April 1920 die Auflösung der Unteroffiziersvorschule und am 1. April 1921 wurde das Militär-Knaben-Erziehungs-Institut aufgelöst. Mit dieser Schließung verloren auch viele Beschäftigte ihre Arbeitsstelle und die Geschäftsleute und Gewerbetreibenden Annaburgs eine wichtige Einnahmequelle.“

17 Jahre danach

Und weil beide Einrichtungen also im Zusammenhang standen, ergänzte Karin Reihs ihre Mail um einen Beitrag, den der Annaburger Ortschronist unter Verweis auf eine spätere Quelle schrieb. Da nahm er Bezug auf einen Beitrag in Beilage Nr. 96 der Annaburger Zeitung von 1938:

„Nun nochmal ein kurzer Rückblick zum 200. Gründungsgeburtstag, der am 6. und 7. August 1938 in feierlicher Form durch die Annaburger und ehemaligen Schüler begangen wurde, obwohl die Anstalt nicht mehr bestand. Rund 500 ehemalige Schüler der früheren Militär-Knaben-Erziehungs-Anstalt (…) weilten an diesen Tagen in Annaburg. Sie feierten den 200. Gründungstag und hielten gleichzeitig ihren diesjährigen Verbandstag (Verband der Vereine ehemaliger Annaburger) ab.

Die Quartierkommission hatte gut vorgearbeitet, so dass es keine allzu große Mühe machte, ein Unterkommen für die Nacht zu finden. Das Programm der Annaburger Tage war naturgemäß nur auf das Wiedersehen der Ehemaligen bestimmt. Es bestand aus dem Kameradschaftsabend am Sonnabend in der Turnhalle, aus einer Gedenkfeier auf dem Schlossfriedhof am Sonntag, dem Kirchgang und dem Festakt auf dem Schlosshofe. Den Schluss der Programmfolge bildete ein Vorbeimarsch der Ehemaligen.

Der Kameradschaftsabend vereinte wohl alle Ehemaligen in der Turnhalle auf dem früheren Spielplatz. Eine beängstigende Fülle herrschte, die bei der Hitze des Tages fast unerträglich war. Die Rohrsche Kapelle eröffnete den Abend mit dem ‚Annaburger Marsch‘, worauf dann eine Reihe von Ansprachen erfolgte. Ferner sprach noch Pfarrer Schrock und ein humoristischer Vortrag des Kameraden Klanowski (Berlin) beendete den ersten Teil des Abends. Vom zweiten Teil des Abends sei hervorgehoben der Vortrag des Lehrers Otto Heintze (Annaburg) ‚Ein Annaburger Lied im neuen Gewande‘.

Mit dem Gottesdienst am Sonntag war verbunden die Feier der Goldenen Konfirmation für 38 Ehemalige. Die Feier war umrahmt von Sologesängen von Fräulein Medem (Berlin). Gegen 12 Uhr mittags folgte dann die Schlussfeier am Denkmal der Dankbarkeit auf dem Schlosshofe. Ministerialrat Meyhack gab dabei einen Rückblick auf die Anstalt und zeigte die Sorgen- und Notzeiten des Instituts auf. Er schloss mit der Hoffnung, dass es dem Verbande vergönnt sein möge, einer baldigen Erneuerung des Instituts beizuwohnen.“ (mz)