Ungebremst ins medizinische Chaos?
Klöden/MZ. - Da es ihr trotz aller Bemühungen bislang nicht gelungen ist, einen Nachfolger zu finden, bittet sie darum, sich einen anderen Hausarzt zu suchen. Allein das Ergebnis dieser Suche ist ernüchternd. Einige Ärzte haben mitteilen lassen, dass ihre Praxis voll sei, andere haben Termine für frühestens Dezember in Aussicht gestellt.
Jutta und Franz Jürgens wollen dies nicht so einfach hinnehmen. Sie schrieben einen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel mit der Bitte, doch jene Beweggründe, die zur Schließung der Praxis in Klöden führen, aus dem Weg zu räumen. "Damit verlieren wir eine gewissenhafte, fleißige und hochmotivierte Ärztin in einer Landpraxis, die sie erst vor etwa drei Jahren übernommen hat... Betroffen ist dann ein Einzugsbereich von mehr als 900 Patienten in den umliegenden Dörfern." Franz Jürgens nutzte zudem die Möglichkeit, die mit dem Meckermobil des MDR Fernsehens geboten wurde. Allein wurde zu seinem großen Leidwesen von seinen Ausführungen überhaupt nichts gesendet.
Dr. Anke Merkel erklärte der MZ, dass sie eigentlich gedacht habe, zu wissen, worauf sie sich als niedergelassene Hausärztin einlässt. Schließlich hatte sie ein Praktikum bei ihrem Vorgänger Dr. Dieter Rühlmann absolviert, kannte also Klöden und seine Patienten. Außerdem war sie zweieinhalb Jahre in Niedersachsen in einer Praxis mit tätig. Mit der Entscheidung, die Aufgabe in Klöden anzugehen, war ihr auch klar, "dass das sehr arbeitsintensiv werden wird".
Zu Beginn hoffte sie noch immer, dass das Arbeitspensum sicher einmal normalere Formen annehmen werde. Doch weit gefehlt. Zwar wurde mit der Zeit einiges Routine und ging schneller, doch der zu betreibende Papierkrieg wurde immer größer, nicht zuletzt durch die Einführung der Praxisgebühr. 12 bis 14 Stunden war die Ärztin täglich in ihrer Praxis oder in den beiden Außensprechstunden. Hinzu kamen viele Nacht- und Wochenenddienste.
Doch das hätte sie vermutlich noch hingenommen, denn schließlich "war ich mit Leib und Seele Landärztin". Aber die Rahmenbedingungen stimmen nicht, ja sie wurden und werden immer schlechter.
Da wäre zunächst die Bonus-Malus-Regelung. Pro chronisch Krankem haben die Ärzte einen bestimmten Betrag für Medikamente zur Verfügung. Von ihren Patienten fallen darunter etwa 80 Prozent. Wird dieses Budget um einen bestimmten Prozentsatz überschritten, muss der Arzt Strafzahlungen an die Krankenkassen entrichten (bis zur Hälfte des Überschreitungsbetrages). Wird eingespart, dann gibt es einen Bonus. Aber nicht für den jeweiligen Arzt, sondern an die Kassenärztliche Vereinigung, die diesen an die wirtschaftlich arbeitenden Ärzten auszahlen soll.
Dr. Merkel befürchtet zum einen, mit dem Budget nicht auszukommen, eben wegen der hohen Zahl chronisch Erkrankter in ihrer Praxis. Außerdem würden Menschen unterschiedlich auf die jeweilige Medizin reagieren. Und dann bemühten sich die meisten Ärzte schon seit langem, wirtschaftlich zu arbeiten. Wegen der angedrohten Strafzahlung sieht die junge Ärztin ein weiteres Problem auf sich und ihre Kollegen zukommen: die Mehrwertsteuererhöhung. Von einer ähnlichen Anhebung des Budgets war bislang keine Rede.
Wenn nun dabei beachtet wird, dass zwar die Punkte, die es pro Behandlung für die Abrechnung gibt, angehoben wurden, deren Wert jedoch sank, dann komme im Ergebnis eine Honorarkürzung heraus, erklärte Dr. Anke Merkel. Außerdem sei vorgesehen, dass die Praxen in zwei oder drei Jahren ein Qualitätszertifikat benötigen. Auch dies würde wieder nur Kosten verursachen. Da sie aber erst vier Jahre ihre Praxis habe und noch nicht allzu viel Geld auf die hohe Kante legen konnte, befürchtet sie nun, über kurz oder lang zwar fleißig zu arbeiten, aber kein Geld mehr zum Leben zu haben.
Im September vorigen Jahres reifte der Entschluss, die Praxis aufzugeben. Doch die Suche nach einem Nachfolger war erfolglos. Auch seitens der Kassenärztlichen Vereinigung fühlte sie sich ungenügend unterstützt. Diese wurde im Mai unterrichtet, verlangte aber erst kürzlich Angaben zur Praxis ab, um sie in eine Börse aufzunehmen.
Für Klödens Bürgermeister Dietmar Wartenburger ist die Schließung der Praxis "eine der schlimmsten Sachen, die Klöden passieren können". Ein Nachfolger werde dringend benötigt, denn der Weggang von Dr. Anke Merkel würde die Wohnqualität nicht nur im Ort erheblich verschlechtern. Viele Klödener, insbesondere ältere, bekämen ein erhebliches Problem, da sie kaum in der Lage sein würden, zu einem weiter entfernten Mediziner zu kommen. Deshalb habe sich vor vier Jahren die Gemeinde auch entschlossen, die Räume der früheren Kindertagesstätte zu einer Praxis mit zwei Behandlungs-, einem Verbandszimmer und einem kleinen Raum für Gespräche auszubauen.
Jessens Bürgermeister Dietmar Brettschneider sieht weitere Probleme kommen, auch in der Stadt. So bemühe sich ein Arzt seit längerem um einen Nachfolger. Er will in den Ruhestand gehen. Und er ist nicht der einzige, der das in den nächsten etwa zwei Jahren vorhat. "Man kann stolz darauf sein, was dieses Land mit seine Bürgern macht", so das Stadtoberhaupt sarkastisch. Es werde auf eine Katastrophe in der medizinischen Versorgung hingesteuert.
Von der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt, die nach eigenen Aussagen "die ambulante Versorgung der Bürger in hoher Qualität zu gewährleisten" hat, war auch nach zehn Tagen keine Stellungnahme zu bekommen, trotz mehrfachen Versprechens, dies schnell zu tun.