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Senioren Senioren: Waffeln im «Weißen Haus»

Von Gabi Zahn 29.08.2012, 17:43

Gross Naundorf/MZ. - Man muss nicht in die Ferne schweifen, das Interessante liegt - manchmal - so nah. In diesem Fall sind es zunächst frischgebackene Waffeln mit Sauerkirschen, dazu ein aromatischer Türkentrank, serviert im Grünen - im "Café Heideck", wo es sich die Groß Naundorfer Senioren gemütlich machen.

"Wir unternehmen regelmäßig etwas gemeinsam. Diesmal wollen wir wissen, was sich hier am ,Weißen Haus' tut", erklärt Edelgard Schmager, die solche Ausflüge organisiert. Gemeint ist der ehemalige Verwaltungssitz der früheren LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft) "IX. Parteitag" am Ortsrand von Groß Naundorf.

Anwesen ersteigert

Ende 2005 hat Kurt Bollenbach das Anwesen ersteigert und will es mit seinem langjährigen Freund, dem 52-jährigen Michael Agirman, modernisieren. Beide kommen aus dem Ruhrgebiet und haben es sich - wie sie selbst bekunden - zur Lebensaufgabe gemacht, das nach der Wende verwahrloste riesige Grundstück - alleine das Gebäude steht auf 4 000 Quadratmetern Fläche - Schritt für Schritt zu sanieren. Vielen Groß Naundorfern sind die beiden gut bekannt. Für ihr Ansinnen ernten sie jedoch oft Kopfschütteln: "Zu groß, zu abgelegen, zu kostspielig", so der Tenor.

Dennoch will Michael Agirman, der bereits zuvor, wie er erzählt, im Gastgewerbe arbeitete, nicht aufgeben. Im Frühling dieses Jahres hat er sogar einen Erfolg erzielt: "Nach einigen Modernisierungen habe ich die amtliche Erlaubnis bekommen, eine Gaststätte zu betreiben", freut er sich.

Von dienstags bis sonntags ist das "Heideck" ab 11 Uhr geöffnet. Allerdings sind es zumeist noch angemeldete Gäste, die sich zu einer Familienfeier treffen, oder einfach mal zusammensitzen wollen - so wie es auch die Senioren aus Groß Naundorf und Umgebung tun.

Altes Brigadebuch gezeigt

Viele aus der Kaffeerunde kennen die Örtlichkeit aus früherer Zeit recht gut, arbeiteten sie doch ihr ganzes Berufsleben lang in der Landwirtschaft. Etwas weh ums Herz ist vor allem Annchen Schrader aus Labrun, als ihr Michael Agirman ein altes Brigadebuch zeigt. Jede Seite darin spiegelt die Geschichte auch ihres Lebens wider. Die jetzt 80-Jährige hat einst in der LPG "Junge Garde" in Plossig den Facharbeiter gemacht, wurde dann Pflanzenschutz-Spezialistin und hat Traktoren, ja sogar einen Kran gefahren.

Später war sie in der Verwaltung tätig und saß zuletzt viele Jahre lang im "Weißen Haus" als Wirtschaftsleiterin. Im Oktober 1990 hat sie ihr Büro an ihrem letzten Arbeitstag verlassen - und darf es an diesem Nachmittag nach langer Zeit wieder betreten. Der Raum fungiert jetzt als kleine Gaststätten-Küche. Annchen Schrader blickt sich suchend darin um. "Es ist ein sehr merkwürdiges Gefühl", sagt sie - und sinnt beim Rundgang im Haus den Zeiten nach, die sie hier erlebt hat.

"Mehr als 500 Portionen Mittagessen wurden täglich bei uns zubereitet, entweder vor Ort im Speisesaal ausgegeben oder zu den anderen Standorten geliefert, auch direkt aufs Feld", erinnert sich die Seniorin, als sie wenig später in der früher hochmodernen Großküche steht. "Unser Koch, der Hans-Herrmann Schneider, war sehr berühmt für sein Essen."

Noch immer kann sie die Struktur des riesigen Betriebes genau erklären: "Die einstigen LPG aus Purzien, Annaburg, Groß Naundorf, Bethau, Labrun, Plossig, Lebien und Prettin hatten sich zunächst zur KAP Heideck (Kooperation Abteilung Pflanzenproduktion) zusammengeschlossen, daraus wurde dann später die LPG ,IX. Parteitag‘. Für den Bereich Tierproduktion existierte während dieser Zeit die LPG ,Ernst Thälmann', die ihren Verwaltungssitz ebenfalls im ,Weißen Haus' hatte."

Schmunzelnd berichtet Annchen Schrader folgende Episode: "Als das Gebäude neu gebaut war, kam ein Landwirtschaftsminister zu Besuch, der augenzwinkernd sagte: ,Jetzt habt Ihr einen so wunderschönen Schwarzbau hergesetzt. Nun putzt ihn wenigstens noch ab.‘" Dieser "Forderung" gemäß wurde das Gebäude mit hellem Putz versehen. Obwohl seine Tönung heute eher einem satten Grau gleicht, bleibt es für die Groß Naundorfer das "Weiße Haus".

Kein Geld von den Banken

Gern würden die neuen Bewohner das Gebäude intensiver verschönern, doch "die Banken geben kein Geld - schon gar nicht für die Gastronomie. Deshalb bewerkstelligen wir viele Dinge allein, und es geht langsam voran", so Michael Agirman.

Nur die Sanierung der Fenster - 120 Stück - koste ein Vermögen. Stolz präsentiert er dagegen den früheren "Parkett-Saal", in dem sich seit dem Frühling das Café befindet. "Bei schönem Wetter sitzen die Gäste jedoch lieber draußen. Uns liegt auch viel daran, die parkähnliche Anlage vor dem Haus ansprechend zu gestalten."