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Natur Region Wittenberg Natur Region Wittenberg: Sind Flüsse und Stromleitungen verantwortlich für Unwetter?

Von Andreas Richter 28.06.2016, 15:25
Diese Bilder gehören zum Sommer 2016. Gewitterfronten, wie hier bei Listerfehrda, ziehen immer wieder über das Land. Nur wann, wo und wohin diese genau ziehen, vermag offensichtlich keiner vorherzusagen.
Diese Bilder gehören zum Sommer 2016. Gewitterfronten, wie hier bei Listerfehrda, ziehen immer wieder über das Land. Nur wann, wo und wohin diese genau ziehen, vermag offensichtlich keiner vorherzusagen. Thomas Christel

Jessen - Dieser Sommer ist explosiv. Aber: Während in den zurückliegenden Wochen viele Regionen der Bundesrepublik unter ständigen Unwettereinflüssen standen, blieb es - letztlich zum Glück - im Landkreis Wittenberg vergleichsweise ruhig, wenngleich es auch hier mittlerweile mehrfach geknallt hat.

Auffallend ist dabei: Es passierte, dass es beispielsweise Gerbisbach und Grabo mit heftigen Regen, Blitz und Donner traf. Wenige Kilometer weiter weg strahlte währenddessen die Sonne ungehindert vom Himmel. Von Regen keine Spur. Der Verlauf von Gewitterfronten wirft Fragen auf: Kommt es darauf an, wo man wohnt? Haben Schwarze Elster und Elbe oder Stromtrassen einen Einfluss darauf, welchen Weg Gewitter nehmen?

Einmal Ja, einmal Nein

Landwirte kommen bei diesen Fragen schon mal ins Grübeln. Gerhard Böhme, Chef des Axiener Landgutes, hat sich zum Einfluss der Flüsse Gedanken gemacht: „Die Alten sagen immer, dass das so wäre, diese Theorie kennen beinahe alle. Ich verlasse mich da auf meine eigenen Beobachtungen. Und ich bin überzeugt, dass die Elbe durchaus die Funktion einer Wetterscheide hat.“ Bei anderen Einflüssen, speziell Stromleitungen, ist sich Böhme unschlüssig. „Bei den Leitungen rund um Axien weiß ich nicht, ob die sich auf den Verlauf von Gewittern auswirken. Aufgefallen ist mir das noch nicht. Aber vielleicht stimmt es?“

Auch Wito Gutewort, er ist der Feldbauchef der „Grünen Aue“ in Battin, kennt diese Argumente. „Ich bin mir unsicher, ob beispielsweise Flüsse Gewitterbahnen bestimmen. Unwahrscheinlich erscheint es mir nicht.“ Da hat der Wetterexperte Jörg Kachelmann eine ganz klare Position. „Nein, Flüsse oder Stromleitungen beeinflussen den Verlauf einer Gewitterfront überhaupt nicht.“

Beide Vermutungen seien dunkelster Aberglaube, sagt der Mann, den viele nicht nur aus dem Fernsehen kennen, sondern auch von seinen Besuchen der Wetterstation an der Jessener Max-Lingner-Grundschule. Er hat jahrelang Vorhersagen für die ARD moderiert. Nach dem Ausscheiden aus seiner Firma Meteomedia/8 gründete er das Internetportal „kachelmannwetter“. „Wir scheinen im tiefsten Mittelalter zu leben, was solche Verschwörungstheorien betrifft“, fügt er hinzu.

Gewitter ließen sich weder von Stromleitungen noch von Flüssen aufhalten, dem Wetter oben sei es letztlich (fast) egal, wie die Landschaft unter ihm ausschaut. Aber: Kachelmann hatte im Zuge der Vorhersagen zuletzt heftige Kritik geübt. Kritik, die Gerhard Böhme nachvollziehen kann. „Putzig finde ich es, wenn alle die diversen Wetterapps als das Allheilmittel ansehen. Und die Vorhersagen, die man täglich im Radio hört, dienen wohl eher zum Auffüllen der Sendezeit.“

Böhme nutzt wenige Wetterdienste, die seiner Ansicht nach gute Prognosen abgeben. „Je regionaler, umso besser.“ Das findet auch Wito Gutewort. „Beim Feldbau wird uns das eher nicht so viel bringen.“ Aber alles andere würde von einer genaueren Vorhersage profitieren. „Heute entstehen Landwirtschaftsunternehmen große Verluste, wenn unsere sensible Computertechnik Schaden nimmt. Da wäre eine regional begrenzte und exaktere Vorhersage prima.“

In diesem Punkt liegen Böhme und Gutewort mit Kachelmann auf einer Wellelänge. Denn der Experte sagt ebenso, dass man viel genauer bei den Vorhersagen arbeiten könnte. Beispiel: Der bisherige Sommer. Zum einen sei die Wetterlage nicht so unnormal, wie immer wieder berichtet wird. „Sie ist nichts Besonderes. Als Meteorologe kann man aber nur das Gebiet abgrenzen, in dem es knallen kann, und dann setzt man sich hin und wartet, bis es passiert. Sobald das Gewitter da ist, weiß man auch, wohin es zieht, und gibt Warnungen heraus.“

Damit hat Kachelmann Bauchschmerzen.

Doch mit der Art der Warnungen und deren Verbreitung hat Kachelmann Bauchschmerzen. „Warum müssen Betroffene hinterher immer sagen, dass sie vom Unwetter überrascht wurden? Niemand muss im Jahr 2016 noch von einem Unwetter überrascht werden.“ Sicher, Voraussagen, wann und wo genau ein Gewitter sich entwickelt, bleiben nahezu unmöglich.

Aber nach Ansicht Kachelmanns ziehen die Gewitter in diesem Jahr nur langsam und entladen sich daher langanhaltend über einem bestimmten Gebiet. Dort kam es bekannterweise zu den verheerenden Hochwassern, bei denen auch Menschen ihr Leben ließen. Kachelmann meint: „Das hätte nicht passieren müssen. Bewegt sich ein Gewitter nicht von der Stelle und es kommt zu starken Regenfällen, hat man in der Regel ein Zeitfenster von bis zu drei Stunden, bis eine Flut kommt.“

Regional sofort reagieren

Zeit, in der man die Bevölkerung massiv vorwarnen könne. „Da hätte man konkrete regionale Dauerwarnungen durchgeben müssen, über Rundfunk und das Regionalfernsehen. Die allgemeinen Hinweise auf die Warnungen des Deutschen Wetterdienstes helfen niemandem.“

Und den diversen Wetterapps für das Handy kann Kachelmann wie Böhme gar nichts abgewinnen. „Solche Apps beschreiben niemals die genaue Wirkung für einen konkreten Standort.“ Kachelmanns Fazit: Statt laufend über Einflüsse zu sinnieren, sollte es eine tiefgreifende Korrektur beim System der Vorhersagen geben. (mz)