Kreis Wittenberg Kreis Wittenberg: Mit Altberliner Charme
JEssen/Klöden/MZ. - Tanzen ist die Poesie der Füße. Wer wie die Mitglieder der Tanzgruppe "Kesse Sohle" den Füßen diesen Genuss schon 30 Jahre zukommen lässt, darf wahrlich von sich behaupten, Gutes zu tun. In einem ihrer Märchen ließen die Gebrüder Grimm zwölf Prinzessinnen Nacht für Nacht deren Schuhe zertanzen. Wie viele Paar Dorothea Cerych geopfert hat, weiß sie nicht mehr.
Genauestens vor Augen haben sie und ihr Mann Günter aber jenen Moment, als sie sich das erste Mal mit Gleichgesinnten zum abendlichen Tanz trafen. Regina und Peter Hildebrandt hatten damals in der Zeitung einen Aufruf gestartet und Interessenten für einen Tanzverein gesucht - die Geburtsstunde der "Kessen Sohle". Zehn Paare fanden sich am 16. September 1982 zum ersten Treffen ein, so die frisch aus Guben nach Klöden zugezogenen Cerychs. Im Laufe der Jahre haben bis auf Dorothea und Günter Cerych alle Gründungsmitglieder den Verein zwar wieder verlassen, gleichwohl halten ihm einige bis heute passiv die Treue. Das Bild des Vereins prägen inzwischen die sieben aktiven Paare. Für sie zählt das Gesetz, sich jeden Dienstag zur Probe zu treffen. "Ohne sie, das haben wir des Öfteren schmerzlich erfahren müssen, ist man schnell aus der Übung", betont Vereinschef Volker Leipziger. Immerhin gilt es nicht nur, eigene Ansprüche zu befriedigen, sondern durchschnittlich auch zehn bis fünfzehn Auftritte pro Jahr zu absolvieren. Synchronizität, perfekte Choreografie und die vermeintliche Leichtigkeit der dargebotenen Show gilt es immer wieder dem Publikum zu vermitteln. Die nach eigenem Bekunden härteste Auftrittsphase erlebten die Tänzer 1987 zum 750-jährigen Stadtjubiläum von Berlin. Sechs Monate lang fuhr die Gruppe jedes Wochenende gen Hauptstadt. Um die Auftritte logistisch überhaupt bewältigen zu können, splittete sich die Formation auf. "Das war echt harte Arbeit", blickt Birgit Leipziger zurück. Doch der Stress zog auch Positives nach sich. Der Bekanntheitsgrad der "Kessen Sohle" wuchs, auch unter bekannten Fernsehgrößen wie Helga Hahnemann. Mit ihr stand die "Kesse Sohle" später gemeinsam auf der Bühne. Ein Ergebnis des Auftrittsmarathons von Berlin.
Altberliner Flair der "Goldenen Zwanziger" versprühte die Formation nicht nur im regionalen Umland, sondern deutschlandweit sowie in Tschechien, Polen und Ungarn. Besonders in Erinnerung haften bleibt ihnen ein Gastauftritt in Werdorf bei Gießen, wohin sie im Frühjahr 1990 der Einladung eines Fans folgten. "Diese herzliche, so kurz nach dem Fall der Mauer einzigartige Atmosphäre bleibt einem dauerhaft im Gedächtnis haften", schwärmt Volker Leipziger. "Wir haben vor Honecker getanzt und vor Mitgliedern des Bundesrats, vor Soldaten der NVA und denen der Bundeswehr." Immer sind sie der eigenen Linie treu geblieben: "Wir tanzen, weil es uns gefällt!"
Bis zu sieben Kostüme haben manche Damen inzwischen im Kleiderschrank. Allesamt in Eigenregie von Hand genäht. Sie, aber auch die Anzüge der Männer sowie ein originaler Kinderwagen aus dem Jahr 1890 und ein Leierkasten gehören zum Erscheinungsbild der "Kessen Sohle". Bildlich erfasst und textlich dokumentiert ist das Werden und Wachsen der Truppe bis ins Detail. Ein Verdienst, dass die zum Jessener SV 53 gehörende Formation ihrem Mitglied Andreas Knape verdankt, der lückenlos Chronik führt. In welcher Form diese nach der großen Feiergala aus Anlass des 30-jährigen Bestehens fortgeschrieben wird, ist derzeit noch offen. Fakt ist, dass das Alter auch um der Mitglieder der "Kessen Sohle" keinen Bogen macht. Um so schwungvoller gilt es, am 3. November in der Elbauehalle Klöden zu tanzen. "Tanz mit uns um die Welt" lautet das Motto des Abends, für den sich die Jubilare zahlreiche Gäste eingeladen haben. Gute Gelegenheit, die Sohlen der Schuhe ordentlich durchzutanzen. Genauso wie im Märchen.