Heimatkalender on Jessen Heimatkalender on Jessen: Kapitän Lothar Günther geht von Bord

Jessen - Ein letztes Mal den Stift gespitzt, Korrektur gelesen, die Unterlagen sortiert. Nach zehn Jahren zieht Lothar Günther einen Schlussstrich. Keinen überhasteten, vielmehr einen nach langer Ankündigung. Dem Schreiben bleibt der ehemalige Journalist auch zukünftig verbunden, den Jessener Heimatkalender jedoch wird es unter seiner Regie nicht mehr geben.
Lothar Günther ist ein Mann mit klaren Prinzipien, mit fester Struktur. Einmal begonnene Arbeiten führt er bis zur Perfektion. Kein geschriebener Satz, kein Wort, das seiner Feder entspringt, wird dem Zufall überlassen. Wer Günthers Texte liest, hat ein Recht darauf, Qualität zu erwarten.
Viel Freizeit investiert
Dieser Maxime ordnet sich der 72-jährige Axiener Autor und Journalist bis heute unter. Ohne Abstriche galt sie deshalb auch für die Arbeit am Jessener Heimatkalender. Zehn Jahre schrieb Lothar Günther für das Heft eigene Texte oder nahm sich der Beiträge anderer an. Ein zeitraubender Job, der trotz seines Status der Freiwilligkeit durchaus Züge einer Vollbeschäftigung hatte. Schon bei der Präsentation im letzten Jahr hatte Günther daher angekündigt, dass nach der zehnten Ausgabe des Kalenders unter seiner Regie endgültig Schluss sei.
„Im meinem Alter sucht man noch nach neuen Herausforderungen“, bekundet er gewohnt spitzfindig und mit verschmitztem Lächeln die getroffene Entscheidung. Fest steht aber, fügt er an, dass in der Vergangenheit viele Arbeiten liegen geblieben seien. Diese gilt es nun zu erledigen. Und ein paar Pläne, was das Schreiben angeht, hat er auch noch. Dass ihn aktuell private Sorgen plagen, erwähnt er nur am Rande. Dennoch verdeutlichen auch sie ihm: Es ist Zeit.
Lothar Günthers regionale Verbundenheit, sein bestehendes Netzwerk und sein Intellekt haben den Heimatkalender zu dem gemacht, was er heute ist: Ein kleines Werk mit großen Geschichten, tiefen Einblicken in Biografien, ein Stück Heimat. Mit 173 Autoren hat Günther für die zehn Heimatkalenderausgaben zusammengearbeitet. „Für mich heißt das, ich habe 173 interessante Menschen kennengelernt“, bekennt er. Wenngleich Günther auch betont, dass diese Zahl noch erweitert werden müsse.
Und zwar um jene Mitmenschen, die er für das Heft interviewte. In der aktuellen Ausgabe werden dies Kreisbauernverbandschef Ralf Donath und der Holzdorfer Karl Brünnich sein. „Eine höchst sympathische und gebildete Lehrerpersönlichkeit“, nennt er den inzwischen 80-jährigen Brünnich.
Zusammen mit beiden Interviews sind im aktuellen Heimatkalender auf 140 Seiten 42 Beiträge abgedruckt. Daran mitgewirkt haben 37 Autoren, zwölf sogar zum ersten Mal. Günthers Wunsch war es immer, auch junge Schreiber für den Kalender zu gewinnen. Leider ist ihm das nur in der Ausgabe 2018 vollends gelungen. „Warum das so ist, kann ich nur mutmaßen. Aber offensichtlich geht vor allem der Jugend die Verbundenheit zur eigenen Heimatgeschichte immer mehr verloren“, sagt er.
Um so mehr freue er sich aber „über jeden jungen Menschen, der sich wieder aktiv in die Dorfgemeinschaft einbringt“. Geschichten zum Rathaus der Stadt Jessen, den Bahnhof in Linda oder über den Trabbi-Club aus Grabo, ein Zugunglück in Premsendorf und die Historie der Glücksburg werden im neuen Heft zu lesen sein. Darüber hinaus Wissenswertes über das Annaburger Forstamt, die Klödener Fähre, die Prettiner Bürgerschützen oder den Konsum von Jessen.
Fehlen werden aber nicht bewährte Lesestoffe wie die Vorstellung des Vogel des Jahres, die Auswertung des Storchenjahres oder das Kalendarium. Letzteres ist für 2020 mit Bildern des Naturgartens von Ulrike und Gerd Hofmann aus Düßnitz gestaltet.
Immer wieder einmal über die zurückliegenden Hochwasserereignisse zu berichten, war Lothar Günther eine persönliche Herzensangelegenheit. Und das nicht nur, weil er und seine Frau davon selbst betroffen waren. „Sie sind für mich ein prägendes Thema geworden, weil ich Derartiges zuvor nie erlebt hatte“, erläutert er. Das eigene Grundstück unter Wasser stehen zu sehen und als Lokalredakteur einer Tageszeitung über die Situation schreiben zu müssen, sei vor allem 2002 eine echte Herausforderung gewesen, betont er.
Gern hätte Lothar Günther den Staffelstab des Heimatkalender-Redakteurs an den nächsten Verantwortlichen übergeben. Doch trotz intensiver Suche war diese Person nicht zu finden. „Ich hoffe nicht, dass sich die Pause, die der Heimatkalender zwischen 1961 und seiner Neuauflage 2004 schon einmal durchlebte, wiederholt“, äußert er. Er selbst sei ein überzeugter „Einzelkämpfer“, der zwar den geistigen Austausch liebt, aber dennoch lieber allein arbeitet.
„Doch vielleicht liegt die Zukunft der Kalenderherstellung ja in einem Team, dass sich hierfür zusammenfindet“, schlägt er vor und ergänzt: „Ganz gleich wie es kommt, ich würde mir im Interesse der Leser und der kommenden Generationen eine Fortsetzung wünschen“.
An bewährter Stelle
Die Präsentation des aktuellen Heimatkalenders findet am 26. November 2019 ab 19 Uhr im Schützenhaus Jessen statt. Musikalisch umrahmt werden die Lesungen durch das Wittenberger Saxophon Quartett mit Deike Gottwald. Zudem tritt der Jessener Reiner Zahn als Rezitator auf. Der Eintritt ist frei. (mz)