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Hans Litten Hans Litten: Der Mann, der Hitler entlarvte

Von Sven Gückel 29.12.2014, 17:50
Hinter den Türen des Zellentrakts auf dem Prettiner Schlossgelände spielte sich während der NS-Zeit unsägliches Leid ab.
Hinter den Türen des Zellentrakts auf dem Prettiner Schlossgelände spielte sich während der NS-Zeit unsägliches Leid ab. S. Gückel Lizenz

Prettin - Der 8. Mai 1945 ist fest in der deutschen Geschichte verankert. An diesem Tag kapitulierte das auf Terror und Unrecht basierende nationalsozialistische Regime Adolf Hitlers. Was jedoch nur wenige wissen: Der 8. Mai war zuvor schon einmal ein Schicksalstag in Hitlers Biografie. Verantwortlich dafür zeichnete der jüdische Anwalt Hans Litten.

Ins Polizeirevier Spandau

Als die Polizei Hans Litten am 28. Februar 1933 gegen 4 Uhr morgens aufsuchte, um ihn in „Schutzhaft“ zu nehmen, hatte der damals 30-Jährige noch keine Ahnung davon, welche Odyssee ihm bevorstand. Nach wie vor glaubte er, auf der Seite des Gesetzes zu stehen. Doch die Behandlung, die wenig später SA-Hilfspolizisten ihm und anderen prominenten Mitgefangenen wie Erich Mühsam und Carl von Ossietzky im Polizeirevier Spandau zuteil werden ließen, belehrte ihn schnell eines Besseren. Die folgende Verlegung in die Konzentrationslager Sonnenburg und Esterwegen, wo Litten wie andere Häftlinge brutal misshandelt wurde, ließ schließlich kaum mehr Hoffnung auf eine Wende seines Schicksals zu.

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Dass Hans Litten zu den ersten prominenten Opfern der Nationalsozialisten gehörte, geht ausschließlich auf seine Arbeit als renommierter Anwalt zurück. Seit 1928 hatte er es sich zur Aufgabe gemacht, dem aufkommenden braunen Terror die Macht des Gesetzes entgegenzustellen. Vor Gericht vertrat Litten für die Rote Hilfe, eine Organisation zur Unterstützung politischer Aktivisten, Kommunisten und Arbeiter, die Opfer von Polizeiwillkür oder SA-Schlägertrupps geworden waren. Mehrfach agierte Litten für seine Mandanten vor dem Richter, forderte von diesen die Umsetzung geltenden Rechts ein.

Der Edenpalast-Prozess

Wirklich berühmt wurde der Berliner aber durch ein Gerichtsverfahren, das als Edenpalast-Prozess in die Geschichte einging. Am 22. November 1930 hatte ein SA-Rollkommando ein von linken Arbeitern besuchtes Tanzlokal überfallen. Die zweifelsfrei planmäßig vorbereite Aktion zog jedoch kaum polizeiliche Ermittlungen nach sich. Vier der verletzten Arbeiter wurden im Prozess durch Hans Litten als Nebenkläger vertreten. Dieser glänzte dabei mit einem besonders cleveren Coup. Mehrfach hatte Hitler auf Wahlveranstaltungen einen „Legalitätseid“ abgelegt. In diesem beschwor er, nur auf legalem Wege die Macht erlangen zu wollen. Die Existenz von SA-Rollkommandos und den Waffenbesitz seiner Schlägertrupps bestritt er vehement. Doch genau das gedachte Litten zu beweisen. Aus diesem Grund bestellte er Hitler, zu jener Zeit schon ein bekannter Politiker, in den Zeugenstand ein.

Hitler selbst, der seinen Berufsstand mit Schriftsteller betitelte, war alles andere als begeistert von diesem Umstand. Im Gerichtssaal bestritt er am 8. Mai 1931 nicht nur die ihm vorgeworfenen Sachverhalte, vielmehr brüllte er mit hoch rotem Kopf Hans Litten an, versuchte ihn zu diskreditieren, einzuschüchtern. „Hitler schwört auf Legalität. Aber findet nur wenig Glauben“, berichtete am Folgetag das Berliner Tageblatt. Ein Sieg für Litten, der zugleich seine größte Niederlage einleiten sollte.

Als die Nationalsozialisten endgültig die Macht in Deutschland ergriffen und mit ihrem Ermächtigungsgesetz ab dem 24. März 1933 die Republik handlungsunfähig machten, inhaftierten sie zuerst jene, die ihnen den größten Schaden zufügten. Hans Litten gehörte dazu. Im Verlaufe seiner Haftzeit führte ihn sein Weg am 13. Juni 1934 (vor 80 Jahren) auch ins KZ Lichtenburg nach Prettin. Die Hoffnung auf Entlassung hatte er da längst aufgegeben. Erschwerend für ihn kam hinzu, dass er in nahezu allen Lagern Angehörigen des SA-Sturms 33 gegenüberstand. Jener Berliner Schlägertruppe, gegen die er immer wieder prozessierte.

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Dennoch schaffte sich Litten in Prettin kleine Freiräume. Er korrespondierte regelmäßig mit seiner Mutter, die alle Hebel in Bewegung setzte, um ihren Sohn aus den Klauen der Nazis zu befreien, debattierte mit anderen Gefangenen über Kunst und Geschichte, organisierte eine Gruppe, die illegal Nahrungsmittel beschaffte oder sorgte für die Unterhaltung und den Ausbau einer Häftlingsbibliothek. Geld, das er von seiner Mutter bekam, reichte er großzügig anderen Häftlingen weiter.

Unbeugsamer Widerstand

In die Geschichtsbücher ging zudem eine Szene ein, die Littens unbeugsamen Widerstand gegenüber dem Regime belegt. Schutzhaftlagerführer Heinrich Remmert, dem Litten schon in Esterwegen gegenüberstand und der ihn dort persönlich misshandelt hatte, forderte die Häftlinge auf, aus Anlass des „Führergeburtstages“ am 20. April 1935 ein Kulturprogramm zu gestalten. Litten, sich der Tragweite seines Handelns durchaus bewusst, trug vor der versammelten Lagerschaft samt ihrer SS-Mannschaft das Gedicht „Die Gedanken sind frei“ vor. Ein wirklicher Schlag ins Gesicht der Nazis.

Drei Jahre, die längste Zeit seiner Haft, verbrachte Hans Litten im KZ Lichtenburg. Als das Lager für männliche Häftlinge aufgelöst wurde, verlegte man ihn am 7. August 1937 ins KZ Buchenwald. Von dort wurde er wegen seiner jüdischen Herkunft im Oktober des gleichen Jahres nach Dachau überstellt. Zu dieser Zeit hatte Litten schon mehrere Selbstmordversuche hinter sich. Als man ihn im Februar 1938 abermals zum Verhör beorderte, war Litten mit seinen Kräften am Ende. Mithäftlinge bestätigten später, dass Hans Litten inzwischen einem geistigen Wahn verfallen war und von den Wachmannschaften immer wieder brutal misshandelt wurde. „Fünf Jahre Haft sind genug“, argumentierte Litten gegenüber seinen Leidensgenossen. Am 5. Februar 1938, kurz nach Mitternacht setzte er seinem Leben durch Strangulation ein Ende.

Was von Hans Litten bleibt, ist das Paradebeispiel für einen unbeugsamen Charakter. Heute residieren unter anderem die Bundesrechtsanwaltskammer und die Rechtsanwaltskammer Berlin in der Hans-Litten-Straße. Die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen verleiht alle zwei Jahre einen nach Hans Litten benannten Preis für demokratisches Engagement. (mz)

Der erste Obergang im Zellentrakt, einem klassischen Gefängnisbau aus der Strafanstaltszeit (1812 bis 1928) des Renaissance-Schlosses
Der erste Obergang im Zellentrakt, einem klassischen Gefängnisbau aus der Strafanstaltszeit (1812 bis 1928) des Renaissance-Schlosses
S. Gückel Lizenz
Hans Litten - Zeichnung eines Mithäftlings im KZ Lichtenburg
Hans Litten - Zeichnung eines Mithäftlings im KZ Lichtenburg
S. Gückel Lizenz