Gemeinschaftshaus Zemnick Gemeinschaftshaus Zemnick: Bebilderter Vortrag über die "Fritz Heckert"

Zemnick - „Wir hatten so um die 500 Leute an Bord. Ein kleiner Kahn war es damit schon“, erinnert sich Joachim Gernuks etwas wehmütig an seine Zeit auf der „Fritz Heckert“ (siehe „Zweites Urlauberschiff des Gewerkschaftsbundes der DDR“) und fügt an: „Es war aber viel gemütlicher als auf den großen Pötten heute. Ein richtiger schöner Abenteuerdampfer.“ Letzteres bezieht der Mann, der nach der Wende nach Schadewalde zog, auch auf die Tatsache, dass das Schiff keine seitlichen Stabilisatoren besaß, so dass bei schwerer See ein starkes Rollen (Neigung über die Flanken) auftrat.
Brandschutzoffizier Joachim Gernuk
Drei Jahre, um 1970 herum, war Joachim Gernuks als Brandschutzoffizier auf dem DDR-Urlauberschiff tätig und genoss die Ausflüge in die große, weite Welt. Was dem heute 68-Jährigen schon ein bisschen fehlt, wie er unumwunden zugibt. Am Freitagabend spricht er vor 20 interessierten Zuhören im Zemnicker Gemeinschaftshaus über seine Erlebnisse an Bord. Seinen Vortrag bebildert er per Laptop und Beamer, macht ihn zudem anschaulich mit einigen Requisiten und einem beleuchteten Modell der „Fritz Heckert“, das auf dem Tresen steht.
Anschaulich zusammengefasst präsentierte Joachim Gernuks einige technische Daten des DDR-Urlauber-Schiffs „Fritz Heckert“ auf der Leinwand: Sie war 141,47 Meter lang, 17,60 Meter breit und hatte einen Tiefgang von 5,57 Metern. Sie war für 379 Passagiere zugelassen und eine maximale Besatzung von 190 Leuten. Ihre Dieselmotoren brachten es auf 10 000 PS. Als einzelne Reisedauer waren höchstens vier Wochen vorgesehen.
Die „Fritz Heckert“ begann ihre „Karriere“ als zweites Urlauberschiff des FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund) nach der „Völkerfreundschaft“. Sie wurde zwischen 1959 und 1961 auf der Mathias-Thesen-Werft in Wismar gebaut. Ab der 1970 Jahre diente sie nach der Außerdienststellung verschiedenen Nutzern als Wohnschiff. Nach 1991 erlebte sie eine Renaissance als Hotelschiff und kam in den Vereinigten Arabischen Emiraten unter dem Namen „Gulf Fantasy“ zum Einsatz.1999 erfolgte ihre Verschrottung in Indien.
Während ihres aktiven Dienstes lief die „Fritz Heckert“ 59 Häfen in 24 Ländern der Welt an. Dabei legte sie 494 345 Seemeilen zurück und beförderte mehr als 63 000 Fahrgäste. Sie war das erste und laut Wikipedia wahrscheinlich das einzige Passagierschiff der Welt, das neben den Dieselmotoren über einen Gasturbinenantrieb mit Freikolbenmaschine verfügte.
Ihren DDR-Namen hatte das Schiff von Friedrich (Fritz) Carl Heckert, 1884 in Chemnitz geboren, 1936 in Moskau gestorben. Er war ein deutscher Politiker, Mitbegründer des Spartakusbundes und der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD war sein Namensvorschlag) sowie führender Funktionär der Kommunistischen Internationale (Komintern). 1923 fungierte Fritz Heckert im Deutschen Oktober kurzzeitig (19 Tage) als Wirtschaftsminister von Sachsen.
„Ich hatte mich als Nicht-Genosse auf eine Anzeige im Neuen Deutschland hin bei der Reederei Rostock beworben, als Feuerwehrmann“, schildert Joachim Gernuks seinen ersten Schritt in Richtung Seefahrt. „Das war mehr ein Jux. Ich rechnete sowieso damit, nicht genommen zu werden.“ Beurteilungen von Polizei, Armee und Betrieb - damals arbeitete der in Berlin Geborene als Brandschutzinspektor bei der BEWAG, waren einzureichen. Lange tat sich nichts, doch nach drei Monaten lud man ihn zu einem Treffen im Ostbahnhof ein. Das Grüppchen der Bewerber wurde mit jeder neuen Bedingung, welche die Auswahlkommission stellte, immer kleiner.
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Das Ende vom Lied: Joachim Gernuks sollte Knall auf Fall auf der MS „Freiligrath“ fahren. Da er aber zuvor in aller Eile noch seine betrieblichen und Feuerwehrangelegenheiten regeln musste, „verpasste ich den Dampfer“. Es folgten mehrere Lehrgänge in Rostock und dann suchte die Reederei einen Feuerwehrmann für die „Fritz Heckert“. „Ich war der einzige verfügbare und so landete ich auf dem Schiff.“ Gleich zum Auftakt ging es nach Casablanca (Marokko). „In der Biskaya habe ich mir die Seele aus dem Leib gekotzt.“
Ein Blick hinter die Kulissen
Joachim Gernuks hält in Zemnick, was er zu Beginn seines Vortrags verspricht: Auch Blicke hinter die Kulissen des Urlauberbetriebs auf der „Fritz Heckert“ zu werfen. So berichtet er von seiner Lieblingswache, der von Mitternacht bis 4 Uhr früh: Da konnte man immer wieder mal Liebespärchen überraschen, die sich in den Rettungsbooten tummelten. Apropos Rettungsboote - die kamen nicht nur bei Mann-über-Bord-Übungen zum Einsatz, sondern wurden gelegentlich auch zum Angeln zweckentfremdet.
Noch mehr Anekdoten: Zur Schiffsfeuerlöschausstattung gehörten wegen des aggressiven Salzwassers Messingkupplungen. Die verschwanden beim Anlegen in Marokko regelmäßig. Des Rätsels Lösung: Die Mannschaft verhökerte sie, um ein paar Devisen zusätzlich zu verdienen. Denn der Lohn war nicht üppig. Joachim Gernuks zum Beispiel bekam 700 DDR-Mark im Monat und 2,80 Westmark pro Tag.
Anekdoten vom Schiff
Bei unruhiger See wurden im Gäste-Speisesaal die Tischdecken angefeuchtet, damit umstürzende Kerzen keinen Brand entfachen konnten und die Teller nicht ständig wegrutschten.
Mit einem Lächeln im Gesicht erinnert sich der 68-Jährige, wie er als Neuling von den alten Hasen zum Kulturoffizier geschickt wurde, um die Noten für das Stimmen des Schiffshorns zu holen. Der drückte ihm zwei schwere Papierstapel in die Hand, die er auf die Brücke schleppte, wo sich die Offiziere beölten vor Lachen. (mz)
