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Erinnerung in Jessen Erinnerung in Jessen: Karl Lamprecht, der streitbare Wissenschaftler

02.03.2021, 10:10
Jessens bedeutendster Sohn: Karl Lamprecht - Das Foto entstand im Winter 1914, einige Monate vor seinem Tod also.
Jessens bedeutendster Sohn: Karl Lamprecht - Das Foto entstand im Winter 1914, einige Monate vor seinem Tod also. Christel

Jessen - Jedes Jahr Ende Februar ist Gelegenheit, an einen großen Sohn Jessens zu erinnern - Karl Lamprecht. Gäbe es die Einschränkungen wegen des Coronavirus nicht, wäre dieses Jahr 2021 eines, in dem wieder ein besonderer Ehrentag zu feiern wäre. Lamprecht wurde nämlich am 25. Februar vor 165 Jahren geboren.

Ursula Nachtigall, die Pädagogin im Ruhestand ist Mitglied im Vorstand des Heimatvereins Glücksburger Heide und leitet die Stadtführer-Arbeitsgemeinschaft der Jessener Sekundarschule Nord, erinnert in den folgenden Zeilen an jenen Mann, der es in seinen späten Lebensjahren bis zum Rektor der Leipziger Universität schaffte:

Lamprecht wurde am 25. Februar 1856 in Jessen geboren. Er war der Sohn des hiesigen Pfarrers und verbrachte in Jessen eine schöne Kindheit, wie er in seinem Werk „Kindheitserinnerungen“ schrieb. Was hat ihn so berühmt gemacht?

Lamprechts Lebensweg

Nach dem Besuch der Gymnasien in Wittenberg und Schulpforta bei Naumburg studierte er ab 1874 in Göttingen, Leipzig und München. Seine Studienfächer waren Geschichte, Nationalökonomie und Kunstgeschichte. 1878 wurde ihm an der Universität Leipzig der Titel eines Doktors verliehen. Zwei Jahre später, also 1880, wurde er sogar Professor in Bonn.

Er entschied sich, dort zunächst als Privatdozent zu arbeiten, denn seine wissenschaftliche Tätigkeit brachte nicht genügend Geld ein, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

1890 arbeitete er dann als Professor an der Universität in Marburg, ehe er ein Jahr später nach Leipzig zurück ging und dort zweiter Direktor des „Historischen Seminars“ wurde. In Leipzig verbrachte er die restlichen Jahre seines Lebens. 1910/11 war er sogar Rektor der Universität.

In seiner wissenschaftlichen Arbeit widmete er sich besonders der Wirtschafts- und der Kulturgeschichte. Noch in seiner Bonner Zeit hatte er mit der Arbeit an seinem mehrbändigen Werk „Deutsche Geschichte“ begonnen. 1891 erschien der erste Band und bereits bis Mitte der neunziger Jahre kamen fünf Bände heraus. Darin und in seinen anderen Publikationen entwickelte Lamprecht seine neue Richtung der Geschichtswissenschaft mit der Kultur- und Wirtschaftsgeschichte als Grundlage.

Moderne Sicht auf Geschichte

Bisher war die politische Geschichtsschreibung vorherrschend gewesen. Diese hatte sich ausschließlich an der Erforschung der Tätigkeit großer Staatsmänner orientiert, an deren Herrschaftsbereichen und an den Kriege, die zur Erhaltung bzw. Vergrößerung ihrer Herrschaftsgebiete geführt wurden.
Lamprechts Bestrebungen, eine neue Herangehensweise an die geschichtlichen Ereignisse durchzusetzen, brachten ihm nicht nur Freunde ein.

In vielen Streitgesprächen musste er versuchen, seine Betrachtungsweise der Geschichte zu verteidigen. Das kostete viel Kraft. Er arbeitete enorm viel und schnell. Nicht immer gelang es ihm, dabei gründlich genug zu recherchieren, sodass seine Widersacher sich in ihrer herkömmlichen Auseinandersetzung mit der Geschichte bestärkt sahen. Nur wenige Wissenschaftler seiner Zeit unterstützten ihn.

Erst einige Jahrzehnte später fanden Lamprechts Vorstellungen von Geschichtsschreibung Eingang in die Lehrbücher. Die Erläuterungen der kausalen Zusammenhänge von Wirtschaft, Politik und Kunst ist heute aus der Geschichtswissenschaft nicht mehr wegzudenken. Große Veränderungen setzte Lamprecht an der Leipziger Universität durch, die einen wesentlich moderneren Studienbetrieb zur Folge hatten, der dann auch von anderen Universitäten übernommen wurde.

Eigentlich hatte er vor, seinen Lebensweg insgesamt in Buchform festzuhalten. Doch über seine Kindheitserinnerungen kam er nicht mehr hinaus. Er starb im Mai 1915 mit nur 59 Jahren. Bekannt gemacht hat ihn also seine Rolle im Methodenstreit der Geschichtswissenschaft.

Gesang für Restaurierung

Karl Lamprecht war verheiratet und hatte zwei Töchter. Sein Grab befindet sich in Schulpforta. An diesem Ort wollte er gern begraben sein, weil er dort als Student wohl die schönste und unbeschwerteste Zeit seines Lebens verbracht hatte. Um Geld zu sammeln für die Restaurierung seiner Grabstätte, hat der Jessener Männerchor übrigens vor einigen Jahren ein Konzert in der Stadtkirche hier in Jessen gegeben.

Die Gräber seines Vaters und seines Bruders Georg kann man heute noch auf dem Friedhof in Jessen finden.

Lamprechts „Kindheitserinnerungen“ sind sehr lesenswert, denn in ihnen beschreibt er das Leben in der Stadt während seiner Kindheit sehr genau und gibt einen schönen Eindruck vom Aussehen unseres Städtchens um 1865.
Die Sekundarschule Jessen-Nord hat vor einigen Jahren eine DVD mit dem Titel „Jessen zu Lamprechts Zeiten“ erstellt. Grundlage dafür waren dieses von Lamprecht verfasste Buch und natürlich die Bücher „Jessen in alten Ansichten“ von Paul Träger. Diese DVD kann bei der Stadtverwaltung ausgeliehen werden. (mz)