Corona-Virus Corona-Virus : Genesungswünsche und Anfeindungen: Ein Infizierter redet Klartext

Jessen - Die Schließung des Ford-Autohauses Gottwald ist in Jessen Stadtgespräch Nummer eins. Chef Jürgen Gottwald bestätigt, dass er am Montag im Wittenberger Paul Gerhardt Stift vom Gesundheitsamt die Mitteilung erhalten hat, dass sein Corona-Test positiv ausgefallen ist.
Der 50-Jährige betont, dass er überrascht ist, wie viele Genesungswünsche von Bekannten, Kollegen und Mitbewerbern bei ihm eintreffen, andererseits habe die ganze Angelegenheit eine Eigendynamik angenommen, die seine Familie ein Stück zu Tätern macht.
Die Frau des Autohaus-Besitzers, Deike, spricht sogar von einem „Shitstorm“, der jeden sachlichen Ansatz im persönlichen Gespräch erstickt. Deshalb habe sich das Ehepaar trotz aller Probleme entschlossen, an die Öffentlichkeit zu gehen, damit das Brodeln in der Gerüchteküche aufhört.
Großarl ist kein Risikogebiet
Rückblick: Jürgen Gottwald ist vom 4. bis 8. März im Skiurlaub in Großarl (Österreich) gewesen. Das Salzburger Land ist zu diesem Zeitpunkt nicht als Risikogebiet eingestuft gewesen. Nach seiner Rückkehr spürt der 50-Jährige ein Kratzen im Hals.
Er geht von einer leichten Erkältung aus, die man sich beim Wintersport schnell einfangen kann. Gottwald geht die nächsten zwei Tage in sein Autohaus - ohne Husten und Fieber.
Am Mittwoch, 11. März, verschlimmert sich sein Gesundheitszustand. Deike Gottwald ruft den Notarzt und informiert laut eigener Aussage diesen bei der Untersuchung, dass ihr Mann im Wintersport gewesen ist.
Da Großarl nicht im Risikogebiet liegt, besteht nach Ansicht des Arztes kein Verdacht auf eine Corona-Infektion. Ihr Mann soll im Bett bleiben und sich schonen. Seine Frau will dem Arzt nachträglich keine Vorwürfe machen.
„Ich hätte eindringlicher auf einen Test bestehen sollen“, sagt sie. Am vergangenen Sonntag spitzt sich die Lage plötzlich zu. Der 50-Jährige erleidet zu Hause einen Schwächeanfall, wird vom eintreffenden Notarzt untersucht und wie eingangs erwähnt ins Krankenhaus Paul Gerhardt Stift gebracht.
Er wird auf Corona getestet und erhält am nächsten Tag die Bestätigung seitens des Gesundheitsamtes. „Meine Frau hat mich am Montag gegen 20 Uhr abgeholt.
Ich musste eine Atemschutzmaske tragen“, so Gottwald, der vom Bett aus sich telefonisch mit um die Schließung des Autohauses kümmert.
Dort ist jetzt an der Eingangstür ein Zettel des Gesundheitsamtes angebracht, dass es vorsorglich und voraussichtlich bis zum 24. März geschlossen ist.
„Die Inkubationszeit beträgt 14 Tage“, erklärt Gottwald, der am 10. März das letzte Mal im Büro gewesen ist. Alle Mitarbeiter, sagt er, befinden sich wie er in häuslicher Quarantäne.
Bei keinem der Angestellten sind bisher Symptome aufgetreten. Der 50-Jährige geht davon aus, dass seine Mitarbeiter noch eine Information vom Gesundheitsamt erhalten, sich testen zu lassen.
Er habe dem Amt auf Anforderung eine Liste mit den Mail-Adressen der Kollegen zukommen lassen. Persönlich stimmt es den Chef traurig, dass er Auslöser der jetzigen betrieblichen Situation ist.
Das zweite Autohaus in Luckenwalde, das ebenfalls der Familie Gottwald gehört, ist von einer Schließung nicht betroffen.
Häusliche Quarantäne
Die Familie hat ihr Leben unter Quarantänebedingungen eingerichtet. Deike und Jürgen Gottwald schlafen in getrennten Zimmern, sie versuchen, soweit das möglich ist, sich aus dem Weg zu gehen. Der Firmenchef erzählt, dass er sich schlapp „wie bei einem schweren grippalen Infekt“ fühlt.
Er habe kein hohes Fieber, die Lunge schmerzt nicht. Sorgen macht er sich ebenfalls um die drei Mitstreiter aus Jessen, die mit im Skiurlaub in Österreich gewesen sind.
Diese haben sich ebenfalls testen lassen und warten jetzt auf den Anruf des Gesundheitsamtes. Ebenso wie seine Frau und Sohn Konrad.
Deike Gottwald kommt noch einmal auf das Thema „Shitstorm“ zu sprechen. Ihr Sohn, der bei der Jugendfeuerwehr aktiv ist und in der Musikschule Klavierunterricht nimmt, habe sich Vorwürfe anhören müssen, sie sei auf der Straße angefeindet worden.
Ihr Mann nennt diese Menschen Kleingeister, die kein Interesse an einem sachlich-fundierten Gespräch haben, sondern vielmehr an Gerüchten und Vorurteilen, die derzeit die Runde machen, verbal festhalten. „In solchen Situationen lernt man die Leute so richtig kennen“, meint er. (mz)
