1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Jessen
  6. >
  7. Austausch in Jessen: Austausch in Jessen: Gegen Betriebsblindheit

Austausch in Jessen Austausch in Jessen: Gegen Betriebsblindheit

Von Gabi Zahn 03.07.2015, 12:48
Corinna Trebbin (l.) begleitet Seniorinnen und Mitarbeiter beider Pflegeheime beim Rundgang durch das Jessener Haus.
Corinna Trebbin (l.) begleitet Seniorinnen und Mitarbeiter beider Pflegeheime beim Rundgang durch das Jessener Haus. G. Zahn Lizenz

Jessen - „Herzlich willkommen im Jessener Feierabendheim!“ So begrüßt Corinna Trebbin, Chefin des Hauses, gemeinsam mit Bewohnern und Mitarbeitern Gäste aus dem Städtischen Pflegeheim in Köthen „Am Lutzepark“. Seit Jahren gibt es freundschaftliche Beziehungen zwischen beiden Einrichtungen. Sie münden stets im lockeren Erfahrungsaustausch. Sowohl die Jessener Einrichtung (96 Plätze) als auch die Köthener Einrichtung (81 Plätze) befinden sich in kommunaler Trägerschaft. „Jedes Haus hat zwar sein eigenes Konzept, doch schadet es nicht, hin und wieder über den Gartenzaun zu schauen. Dazu fahren wir gern nach Jessen“, bekundet Annemarie Reinfeld, Leiterin in Köthen.

Im Gegensatz zu Jessen gibt es in Köthen mehrere Pflegeheime mit verschiedenen Trägern: Wohlfahrtsverbände, Kirchen, private Eigentümer. Annemarie Reinfeld: „Nach der Wende wurde orakelt, dass Heime in kommunaler Trägerschaft nicht überleben. Diese Meinung widerlegen wir. In unserem Haus sind wir verpflichtet, Tarifgehalt zu zahlen. Das verursacht erhebliche Kosten, würdigt aber die anspruchsvolle Arbeit der Pflegekräfte. Deshalb haben wir kein Fachkräfte-Problem.“ Zu Jessen sagt Corinna Trebbin: „Auch wir bieten sehr gute Arbeitsbedingungen und soziale Leistungen, die sich am Tarif orientieren.“ 

Die Verbindung ist nicht zufällig entstanden. Beide Chefinnen sind sich vor mehr als 20 Jahren zum ersten Mal begegnet: „Wir haben 1994 unsere Heimleiter-Ausbildung gemeinsam absolviert, uns in dieser Zeit kennen und schätzen gelernt und nie aus den Augen verloren“, erklärt Corinna Trebbin.

Bei einer Frühstücksrunde stellen sich Gäste und Gastgeber einander vor, denn jeder Besuch wird von anderen Teilnehmern begleitet. Es folgt ein Rundgang durch das Haus. Den hiesigen Heimbewohnern ist anzumerken, wie gern sie den sechs Köthenern „ihr Zuhause“ zeigen. Die Zimmer sind individuell eingerichtet. Alle verfügen zudem über ein eigenes Badezimmer. „Den Luxus haben wir bei uns in Köthen ebenfalls“, so die Gäste. Auch Speisesaal, Stationsbäder, Aufenthalts-, Beschäftigungs- und Wirtschaftsräume werden besichtigt. Gertraud Vorrath resümiert: „In unserem Lutzepark ist es schön, und hier ebenfalls. Alles ist sehr großzügig angelegt.“ Das Köthener Haus sei etwas anderes gebaut, sehr modern, mit viel Glas. Vorteil dort: Einige Zimmer haben einen kleinen Balkon oder direkten Zugang zur Terrasse.

Andreas Belger erkundet die Küche und nickt anerkennend. Er kennt sich aus: „In Köthen ist das mein Arbeitsbereich“, sagt der 42-Jährige. Ebenso wie in Jessen betreibt das dortige Pflegeheim nicht nur die Küche, sondern auch die Wäscherei in eigener Regie: „Das funktioniert prima. Wir haben nicht vor, daran etwas zu ändern“, versichert Verena Krug, stellvertretende Leiterin in Jessen. Annemarie Reinfeld bemerkt Kleinigkeiten, die ihrer Meinung nach eine große Wirkung haben: ein Wandbild zum Beispiel. Auf einem Schild ist zu lesen, wer es angefertigt hat: „Eine tolle Idee. Die Namen machen das Bild erst richtig wertvoll. Darauf werden wir künftig auch achten.“ Schmunzelnd gesteht sie: „Man wird betriebsblind. Solche Besuche öffnen die Augen.“

Mit 92 Jahren ist Ursula Hamann aus Jessen die Älteste im Gesprächskreis: „Ich lebe hier seit vier Jahren, werde gut umsorgt. Woanders möchte ich nicht mehr sein.“ Edith Loos (89) aus Köthen geht es ähnlich: „Für mich war immer klar, dass ich ins Heim gehe. Ich habe sogar ein Balkonzimmer mit Blick in den Park.“ Friedchen Kuhrt ist Neu-Jessenerin und erzählt über sich: „Ich stamme von der Ostsee. Ich habe mich eingewöhnt und wünsche mir, dass ich alles, was hier geboten wird, noch lange bei guter Gesundheit genießen kann.“ Ella Kostial (87) pflichtet ihr bei. Sie schätzt vor allem die Selbstständigkeit, die ihr das Jessener Heim bietet, und die abwechslungsreiche Beschäftigung: Backen, Gesellschaftsspiele, Bewegungstherapie, Singen. Außerdem verrät sie: „Hier habe ich angefangen zu basteln. An so etwas hätte ich früher nie gedacht.“ Corinna Trebbin stellt klar: „Betreuung im Heim soll Selbstständigkeit nicht verhindern, sondern fördern.“

Als „Standortvorteil“ schätzen sowohl Senioren in Köthen als auch Jessen: Beide Häuser liegen relativ zentral in den Städten, mit einem Park vor der Haustür und unweit von Geschäften und der Apotheke. „Wir sind mittendrin. So soll es sein“, kommentiert Gertraud Vorrath, als sie sich von den Jessenern verabschiedet. Schon jetzt freuen sich Jessener Senioren auf einen Ausflug, der sie demnächst nach Köthen führen wird. (mz)