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Anja Martens liest in Naundorf Anja Martens liest in Naundorf: Kinder-Dorf-Momente

Von Detlef Mayer 31.10.2018, 09:49
Diese Fotocollage von der Buchvorstellung „Kinder-Dorf-Momente“ mit Anja Martens in Naundorf hat ihr Vater zusammengestellt.
Diese Fotocollage von der Buchvorstellung „Kinder-Dorf-Momente“ mit Anja Martens in Naundorf hat ihr Vater zusammengestellt. Erwin Clemens

Naundorf bei Seyda - „Die Tage der Kindheit schienen endlos, Zeitlosigkeit umgab uns. Bei uns auf dem Hof gab es mehrere verschlossene Kammern, die niemand mehr nutzte. Eines Tages wollten meine Freundin und ich uns dort ein neues Zuhause einrichten. Wir öffneten die knarzende Tür - bewaffnet mit Lappen und Besen - und putzten wie wild.

Wir schoben alte Möbel hin und her und wollten gerade beginnen, Fantasie-Essen zu kochen, als Angela aufschrie. In einer Ecke befand sich ein regelrechtes ,Spinnennest’, so rannten wir kreischend mit dem Nötigsten hinaus, schmissen die Tür zu, drehten den Schlüssel herum, um uns in Sicherheit zu bringen. Bis heute haben wir diese Kammer nie wieder betreten.“

17 Geschichten

Der Absatz stammt aus dem Kapitel „Spinnstunden“ (frühe Erlebnisse mit Buddelkastenfreundin Angie) des Büchleins „Kinder-Dorf-Momente“ von Anja Martens, geborene Clemens. Die Autorin der 17 in dem kleinen Band zusammengefassten Geschichten stammt aus Naundorf bei Seyda, wo sie bis 1983/84 lebte.

Bis zu ihrem 17. Lebensjahr hat Anja Clemens, verheiratete Martens, in Naundorf bei Seyda gelebt. Geboren wurde sie 1966 in Wittenberg und dorthin ging sie auch nach der zehnten Klasse - ins Internat und zur vierjährigen Krankenschwester-Ausbildung am Paul-Gerhardt-Stift. 1988 heiratete sie Friedhelm Martens, einen evangelischen Prediger, und zog mit ihm nach Fürstenwalde, wo er eine Pastorenstelle inne hatte. Insgesamt wurden dem Paar fünf Kinder geboren.

Weitere Lebensstationen der Familie waren Spremberg in der Lausitz (zwei Jahre), wo sich Friedhelm Martens neben der Gemeindearbeit um Obdachlose kümmerte, und Berlin-Hennigsdorf (fünf Jahre), wo Anja Martens das fünfte Kind zur Welt brachte. 2004 wechselte die Familie für zwölf Jahre nach Rheinland-Pfalz in eine Kleinstadt namens Katzenelnbogen - „ein Dorf mit Stadtrecht“ wie Anja Martens sagt.

Seit 2016 wohnt Anja Martens in Schleswig-Holstein, in einem Dorf bei Rendsburg. Ihr Mann ist schon ein Jahr früher dorthin gegangen. Sie arbeitet seit 2014 als Teilzeit-Krankenschwester in der Chirurgie in Kiel. Das tat sie auch schon anderthalb Jahre lang in Rheinland-Pfalz, neben ihrer Tätigkeit als Lebensberaterin. Dazu wiederum hatte sie sich berufsbegleitend ausbilden lassen, als sie (in Katzenelnbogen) als Minijobberin in einem Altenheim tätig war. Davor wirkte sie rund 20 Jahre zu Hause - wegen der fünf Kinder.

In diesen Reflexionen ihrer am weitesten zurückliegenden Lebensspanne begibt sich die fünffache Mutter „auf die Suche nach ihren Wurzeln. Nach Träumen und Traditionen. Es entstanden die warmherzig, humorvoll und doch tiefgründig geschriebenen ,Kinder-Dorf-Momente’, die einladen, mit auf eine Reise in die Vergangenheit zu gehen“, wie es auf dem Einband der Veröffentlichung treffend heißt.

Jüngst hat die jetzt in Schleswig-Holstein wohnende Anfang-50-Jährige ihr Büchlein in Naundorf vorgestellt, in dem Ort ihrer Kindertage, in dem die beschriebenen Sequenzen aus ihren Erinnerungen überwiegend spielen. Etwa 50 Interessierte waren zu der Lesung in den Saal der Gaststätte Müller gekommen. Darunter auch ihre Eltern Hannelore und Erwin Clemens, die inzwischen in Wittenberg leben.

Als Ideengeber für die Veranstaltung nennt Anja Martens explizit den Naundorfer Heinz Lehmann. „Er ist für mich so etwas wie ein großer Bruder und kommt natürlich in dem Buch vor“, erklärt die Autorin im Gespräch mit der MZ. Ihr Vater ergänzt, dass auch Seydas Pfarrer Thomas Meinhof eine Aktie daran habe, der das Büchlein schon kannte.

Heinz Lehmann spielt zudem eine wichtige Rolle im Entstehungsprozess der „Kinder-Dorf-Momente“. Wie Anja Clemens schildert, sei ihr der letzte Umzug von Rheinland-Pfalz nach Schleswig-Holstein ziemlich schwer gefallen. „Da war die Luft ein bisschen raus, ich war traurig.“ Sie habe in dieser Phase viel darüber nachgedacht, woher sie komme.

„Abschied, Neuanfang und Suche nach den Wurzeln griffen ineinander.“ Außerdem habe sie in dieser Zeit Naundorf noch mal besucht und bei der Gelegenheit alte Schmalfilme aus dem Fundus von Heinz Lehmann angesehen, die „einen Erinnerungsstrom in Gang setzten“.

Zuerst habe sie nur eine Geschichte verfasst. Und die sei aus einer Schreibübung heraus entstanden, von der sie mal gehört hatte. Dabei gehe es darum, eine Viertelstunde lang alles festzuhalten, was einem gerade durch den Kopf geht.

„Diese Übung habe ich für mich gemacht“, ohne die Absicht, sie zu veröffentlichen. Letztlich sind es 17 Geschichten geworden. „Im Januar 2016 habe ich damit begonnen und im Januar 2018 wurde das Buch gedruckt.“ Es ist übrigens im BoD-Verlag Books on Demand, Norderstedt, erschienen (ISBN: 9783746068770).

Vom Lesen zum Schreiben

Eine Veränderung habe sich damit zusammenhängend vollzogen, gesteht Anja Martens: „Früher habe ich viel gelesen. Vor drei Jahren ist das ein bisschen ins Schreiben gekippt.“ Parallel zu ihren „Kinder-Dorf-Momenten“ sind noch andere kleine Werke entstanden, darunter eins über ihren Weggang aus Rheinland-Pfalz. „Da habe ich beim Schreiben geweint.“ Es heiße „Tschö“ und sei dort auch in der Zeitung gedruckt worden.

Doch noch einmal zurück nach Naundorf in die Kindheit. Eine Momentaufnahme: „Meine Nase läuft und ich will an meiner Mutter vorbeihuschen. Sie holt aus ihrer Kittelschürze ein Stofftaschentuch hervor und schnäuzt meine Nase, dabei verströmt das Taschentuch eine spezielle Koch-Back-Kittelschürzen-Geruchsmischung.

Bei dem Gedanken an diesen Duft sehe ich mich, wie ich anschließend ins Bad flitze, stelle mich auf die Kante unserer alten Flurtür und schwinge mich einen Meter nach rechts, steige hinunter zum Badezimmer. Ich fühle mich bei diesem Schwingen, als ob ich fliege...“ (mz)