Wenn Pflege krank macht Pflegekräfte in Pflege überfordert: Krankenschwestern erklären, warum sie an ihre Grenzen gehen

Sangerhausen - Überstunden, Langzeiterkrankungen und Vorgaben der Krankenkassen - Beschäftigte im Gesundheitsbereich klagen über immer schlechtere Arbeitsbedingungen. Davon können auch Martina M. und Sabine F. (Namen geändert) ein Lied singen. Die beiden Frauen arbeiten als Krankenschwestern in den Helios-Kliniken.
Wie Sabine F. erklärt, hat sich die Situation im Vergleich zu 2018 zwar ein wenig gebessert, doch das sei nur ein Tropfen auf den heißen Stein. „Einige Stationen haben mehr Leute bekommen“, sagt sie.
Das Bündnis gegen Pflegenotstand MSH hatte im vergangenen Herbst zu einer Demonstration für mehr Personal aufgerufen. Wie Verdi-Ortsvereinsvorsitzender Ralf Neumann damals sagte, sollte mit der Demonstration Druck nach oben gemacht werden. „Vom Gesetzgeber muss es Lösungen für den Personalmangel geben“, forderte er.
„Politik ist gefordert“
Sabine F. macht den Helios-Kliniken keinen Vorwurf. „Die Politik ist gefordert“, meint sie. „Mit den Vorgaben der Krankenkassen machen sich die Mitarbeiter in den Kliniken kaputt.“
Damit meint sie vor allem das „DRG-System“ - ein pauschalisiertes Abrechnungssystem, das unter anderem festlegt, wie lange Patienten im Krankenhaus bleiben dürfen. Martina M. erklärt: „Schon wenn die Akte erstellt wird, steht dort das Entlassungsdatum.“ Hält sich die Klinik nicht daran, macht sie Miese.
Gerade bei älteren Patienten würde die Zeit nicht ausreichen, um wieder auf die Beine zu kommen, sagt Sabine F. „Wir betteln oft, dass sie noch ein wenig länger bleiben dürfen.“ Sie findet harte Worte: „Das DRG-System verstößt gegen jedes Grundrecht!“
Keine Zeit, um Patienten zu versorgen
Außerdem müssten Pflegekräfte viel mehr als nur ihre eigentlichen Aufgaben übernehmen. „Wir haben kaum mehr Zeit, die Leute zu versorgen. Für einen Pflegefall die Dokumentation am Rechner zu schreiben, dauert fast eine Stunde“, erklärt Sabine F.
Besonders viel Zeit nehme auch der Patiententransport innerhalb der Klinik in Anspruch. „Ich weiß nicht, wie oft ich heute Patienten gefahren habe“, sagt Martina M. Etwa ein Drittel ihrer Schicht ist sie mit dem Patiententransport beschäftigt, ein Drittel mit der Pflege und ein Drittel mit der Dokumentation.
Für die Patienten stünden die Grundbedürfnisse an erster Stelle - Essen, Trinken, Hygiene. „Kranke wollen umsorgt werden, spüren, dass man sich kümmert“, sagt Martina M.
„Ein bisschen im Mittelpunkt zu stehen, ist gut für die Psyche.“ Und sie gibt mit Tränen in den Augen zu, dass das nicht immer möglich ist. „Wir tun was wir können, aber unsere Zeit reicht einfach nicht aus.“
Psychische Belastung für Pflegekräfte
Besonders schwierig wird die Situation, wenn Kollegen ausfallen. „Heute bin ich wieder an meine Grenze gegangen“, sagt Martina M. mit zittriger Stimme. „Wir haben die Frühschicht zu dritt gerockt, hatten ja keine andere Wahl.“
Die Situation belastet Martina M. vor allem psychisch. „Man geht schweren Herzens in den Feierabend und hat immer ein schlechtes Gewissen den Patienten gegenüber.“ Anfeindungen von Angehörigen gehören zum täglich Brot. „Sie kennen ja die Hintergründe nicht. Ein ,Wir schaffen das nicht’ will niemand hören“, erklärt Sabine F.
Für Sabine F. und Martina M. steht fest: Sie würden nie wieder einen Beruf in der Pflege lernen wollen. „Wir haben das mal aus Berufung gemacht“, erklärt Sabine F. Ihre Kollegin ergänzt: „Ich habe den Job einmal sehr geliebt. Die Zeiten sind indes vorbei.“
Junge Mitarbeiter würden viel Enthusiasmus zeigen, seien allerdings auch schnell enttäuscht. „Ihnen wird viel zu wenig angeboten für die harte Arbeit“, findet Sabine F., die weiter auf bessere Bedingungen hofft. „Jede Revolution hat einmal klein angefangen.“ (mz)