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Zachow Stadtteilserie 4 Zachow Stadtteilserie 4: Dautzsch

Von ANDREAS LÖFFLER 29.08.2012, 11:13
Es könnte ja das eigene werden: Beim Hausbau auf dem Dautzsch gab jeder alles.
Es könnte ja das eigene werden: Beim Hausbau auf dem Dautzsch gab jeder alles. Andreas Löffler Lizenz

Halle (Saale)/MZ. - Ein Haus gewinnen – das kennt man heutzutage von Lotterien wie etwa der „Aktion Mensch”. Buchstäblich eine Doppelhaus-Hälfte zugelost bekamen Anfang der 30er Jahre aber auch die Mitglieder jener Siedlergenossenschaft, die auf dem fruchtbaren Land zwischen Diemitz und Reideburg in Halles Osten zunächst 58 Doppelhäuser errichtet und damit den Ursprungskern des heutigen Stadtteils Dautzsch geschaffen hatte. „Da jeder an jedem Haus mitwerkelte und immer die Chance bestand, dass genau dieses Heim später das eigene werden würde, haben wohl alle immer und überall beste Qualitätsarbeit abgeliefert”, staunt Volker Grasse, Chef der Dautzscher Wohngemeinschaft, noch heute über den psychologisch ausgeklügelten Effekt, der nach Abschluss der Bauarbeiten veranstalteten „Häuser-Lotterie“ unter den Genossenschaftsmitgliedern.

Motoball und Osterfeuer Als Namenspate für die neue Siedlung mit ihren großen, jeweils um die 1.000 Quadratmeter großen Parzellen, fungierte der Dautzsch – eine nahegelegene Gesteinskuppe vulkanischen Ursprungs, in der Porphyr für den Straßenbau gebrochen wurde und hernach ein Badesee entstand. Als dieser in den 30er Jahren zugeschüttet wurde, nutzte man die entstandene Fläche für Feld- Handball, später sogar Motoball-Spiele und für die alljährlichen Osterfeuer.

Wenn vom Dautzsch die Rede ist, kommt man, spätestens jedenfalls seit der 1950 erfolgten Eingemeindung nach Halle, nicht am Selbstbehauptungswillen und einer gewissen Widerborstigkeit seiner Bewohner vorbei. So wie im Comic Asterix und die Gallier Rom trotzen, boten und bieten die Dautzscher dem Tun der „Zentralregierung” in Halle die Stirn. „Und wenn man uns von Pontius zu Pilatus schickt: So leicht lassen wir uns nicht abwimmeln”, sagt Volker Grasse und listet Auseinandersetzungen um Hochwasser-Schutzmaßnahmen, Straßensanierung, öffentliche Beleuchtung, Busanbindung oder Lärmschutz bei der geplanten Weiterführung der Osttangente auf.

Die DDR-Behörden an der Nase rumgeführt

Bei einem letztlich erfolgreichen Husarenstreich, von dem man sich heute noch erzählt, war Grasse in vorderster Reihe dabei. Weil der Empfang des Westfernsehens so schlecht war, wollten die Anwohner Ende der 80er Jahre eine große Gemeinschaftsantenne auf dem Dautzschberg errichten. „Aber weil wir mit dieser – ehrlichen – Argumentation natürlich keine Chance auf Genehmigung durch die DDR-Behörden gehabt hätten, haben wir uns einfach etwas hübsch Linientreues ausgedacht, denen eben was von wegen einheitliche Ansicht der Siedlung gewährleisten, Materialeinsparung und Werterhaltung der Bausubstanz erzählt“, sagt Ex-Volkspolizist Grasse, der sich damals in voller Uniformmontur – und so die sozialistische Legende unterstreichend – in die „Höhle des Löwen“, sprich Rat der Stadt, begab.

„Es ist schon erstaunlich, dass die damals gegründete Interessengemeinschaft Dautzscher Antenne bis heute funktioniert“, sagt Heinz Schiedewitz, seit Jahren vor allem im Sportverein vor Ort aktiv. „Auch wenn es längst nicht mehr so einfach ist, die Leute zu bewegen, etwas zu tun: Die Dautzscher nehmen Anteil am Wohl und Wehe ihrer Siedlung.” Neben einem eigenen Fernsehkanal dient vor allem die von der Wohngemeinschaft monatlich herausgegebene Dautzsch-Zeitung dem Informationsaustausch. „Die Blättchen sind stets im Nu vergriff en”, erzählt Frank Mennicke. Der 57-Jährige betreibt bereits in dritter Generation einen Tante-Emma-Laden in der Äußeren Diemitzer Straße, der – aufgewertet durch Hermes-Paketservice, Presse- und Lotto-Shop, Getränke-Heimdienst und nicht zuletzt das jeden Morgen frisch vom Bäcker aus Kanena bezogene Backwarenangebot – als Drehscheibe und Marktplatz für den Dautzsch fungiert.

Neuankömmlinge und Rückkehrer

Heute ist die Siedlung neben Seeben einer der nur zwei halleschen Stadtteile, in denen die Bevölkerungszahl seit der Wende stetig (und auf dem Dautzsch konkret um mehr als 50 Prozent im Vergleich zu 1989) gestiegen ist. Vor allem an Hanf-, Hafer- und Traubenweg wuchsen neue Häuser empor. „Das brachte natürlich auch unserem Sportverein mächtig Zulauf”, sagt Heinz Schiedewitz und verweist stolz darauf, dass die Fußball-Abteilung mit einer Ausnahme auch in sämtlichen Nachwuchsklassen vertreten ist. „Das zwingt uns aber auch zum Improvisieren. Weil wir nur ein Spielfeld zur Verfügung haben, gibt es Überlegungen, die Fläche im einstigen Dautzsch- Steinbruch für sportliche Trainings-Zwecke wiederherzurichten.“ Die Tischtennis-Spieler, Gymnastik- und Aerobic-Jünger des Vereins tummeln sich mangels Turnhalle im Veranstaltungssaal der Sportlergaststätte. Übrigens würden auch viele ältere Dautzscher in ihre frühere Heimat zurückkehren. „Einmal Dautzscher, immer Dautzscher”, sagt Schiedewitz. Er selbst ist 1961 mit seinen Eltern nach Halle-Süd fortgezogen und 1977 mit ihnen auf den Dautzsch ins Haus seiner Großeltern zurückgekehrt. In den 80er Jahren erwarb der heute 59-Jährige nur 300 Meter entfernt – “von einem Skatfreund meines Opas” – selbst eine der typischen Doppelhaus- Hälften. Und zog damit das große Los. Ganz ohne Lotterie.

Der Siedlungsaufbau am Dautzsch zu Beginn der 30er Jahre.
Der Siedlungsaufbau am Dautzsch zu Beginn der 30er Jahre.
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