Von "Übervater" bis "grotesk" Würdigung für Hans-Dietrich Genscher polarisiert Hallenser

Halle (Saale) - Kaum ein Thema polarisiert in Halle derzeit so wie die Ehrung für den verstorbenen Hans-Dietrich Genscher. Die MZ-Leser haben sehr unterschiedliche Meinungen dazu, ob, wie und wann der FDP-Politiker in Halle gewürdigt werden soll: Eine Straße nach ihm zu benennen oder eine ganze Schule?
Einige beklagen, dass es nicht schnell genug geht, andere mahnen zur Zurückhaltung, einige kritiseren auch die Berichterstattung der MZ zu diesem Thema. Eine Auswahl von Lesermeinungen, die uns in den vergangenen Tagen erreicht haben:
Infantile Werbekampagne der MZ für Genscher?
„Mittlerweile täglich wird der geneigte Leser Ihrer Zeitung mit den winselnden Bemühungen von Redakteur Färber zum Zwecke einer manifesten Ehrung der intriganten Plattitüdenschleuder Genscher konfrontiert. Marginale MZ-Leser-Telefonumfragen und Abstimmungen im aktuellen Schülerkreis werden zu Sternstunden der Demokratie aufgeblasen, widerständige Meinungen im Stadtrat diffamiert. Zum grotesken Beispiel von Geschichtsklitterung wird die Behauptung, die 1982 dem eigenen Machterhalt dienende Wendehalspolitik des Herrn Genscher sei die visionäre Vorbereitung der deutschen Einheit gewesen.
Wer wie Lehrerin Schwarz in Genscher den modernisierten Herder zu erkennen glaubt, hält wahrscheinlich auch Helmut Kohl für den Wiedergänger Goethes.
Wenn irgendetwas provinziell ist, dann ist es diese infantile Werbekampagne der Ihre Redaktionstube okkupiert habenden Genscher-Connection. Das hat er sogar meiner Meinung nach nicht verdient!“ (Klaus Röther)
Genscher statt Herder: „Mir verschlägt es fast die Sprache“
„Als ehemaligem Hallenser verschlägt es mir fast die Sprache, wie in der Stadt der Aufklärung und des Pietismus´, der Wirkungsstätte Franckes, Thomasius´ und Wolffs mit unserem großen Herder umgegangen wird. Weiteres verkneife ich mir aus Pietät.“ (roca remeed auf MZ.de)
Genscher-Ehrung: „Magdeburg überholt mal wieder Halle.“
„Da schlägt sich nun der Stadtrat mit der Ehrung des ehemaligen Außenministers herum und lässt sich von Magdeburg überholen. Magdeburg hat weniger Bezug als Halle, wo er dazu noch Ehrenbürger war. Die Umbenennung des Herder-Gymnasium hat natürlich ein Problem.
Eine Schülerin spricht das an und würde lieber den alten Namen auf ihrem Zeugnis sehen, was verständlich ist. Vollkommen daneben und unwürdig finde ich den Vorschlag, den Bahnhofsvorplatz mit Genscher in Verbindung zu bringen.
Haben sich die Befürworter eigentlich mal den Platz angesehen? Eine Abstellfläche für Fahrzeuge mit unschönen Mauern und, wenn man aus dem Bahnhof tritt, mit einem Blick auf eine Auffahrt zum Bahngelände. Diesen Vorschlag finde ich als eine Missachtung, gleich welcher Person.
Man braucht sich nur das Bild in der MZ vom 2. Februar anzusehen. Ich kann mir zwar vorstellen, dass der Vorschlag Delitzscher Straße Kosten für die Anlieger verursacht, aber es werden so viel Kosten ausgeglichen, da sollte es in diesem Fall auch möglich sein.
Alle Argumente sprechen für diese Straße. Sie führt zu seinem Geburtshaus und er wird sie täglich benutzt haben. Schon sein Schulweg jeden Tag führte hier lang zum Gymnasium. Hier sollte sich die FDP ins Zeug legen.“ (G. Roschke)
Reideburg zu Genschburg?
„Reideburg in Genschburg umbenennen, dann hat sich’s aber auch.“ (Detlef Hartmann auf MZ.de)
Diskussion im Stadtrat über Genscher: „So entsteht aus Arroganz Politikverdrossenheit.“
„Die Schüler und Lehrer des Herder-Gymnasiums engagieren sich gemeinsam dafür, dass ihre Schule den Namen ihres berühmtesten Schülers tragen darf: Hans-Dietrich Genscher. Der ehemalige Außenminister, der sich wie kaum ein Zweiter um die deutsche Einheit verdient gemacht hat, der bis zu seinem Lebensende seiner Heimatstadt Halle innig verbunden war, dem als Vorsitzender des Kuratorium die Sanierung der Franckeschen Stiftungen eine Herzensangelegenheit war, wurde letztlich auch durch seine Schulbildung in diesem Hause geprägt.
Wenn sich nun unsere Stadträte, insbesondere Grünen-Stadtrat Christian Feigl, diesem Engagement widersetzen, weil sie sich moralisch über Hans-Dietrich Genscher erhaben fühlen (Was haben Sie bisher geleistet, Herr Feigl?), dann braucht man sich nicht wundern, dass bei unseren zukünftigen Wählerinnen und Wählern der Eindruck entsteht, dass es sich nicht lohnt zu engagieren. So entsteht aus Arroganz Politikverdrossenheit.“ (Dr. B. Scheffler)
„Der Aufriss in Halle um Genscher ist provinziell.“
„Die Grundlagen für die Wiedervereinigung wurden in den 60er Jahren von Egon Bahr mit seinen Thesen „Wandel durch Annäherung“ geschaffen. Kohl und Genscher sind dann durch die Tür gegangen, die Gorbatschow ihnen aufgemacht hat. Genscher zu ehren ist ok. Ein solchen Aufriss um einen von vielen guten Politikern zu machen, nur weil er in einem Vorort von Halle geboren wurde, das ist provinziell.“ (Mirror auf MZ.de)
„Possenspiel des halleschen Kulturausschusses ist ein Schlag ins Gesicht für Hallenser.“
„Ich bin gebürtige Hallenserin. Mein Sohn besucht seit letzten August das Herdergymnasium. Bei dem Informationselternabend im Frühjahr letzten Jahres fiel mir im Foyer der Schule ein großes Banner auf, welches für die Beteiligung der Schüler an der Abstimmung zur Umbenennung in Genschergymnasium warb. Toll - war mein erster Gedanke. Die engagieren sich hier.
Genauso gut fand ich die Entscheidung des Elternrates, sich nicht an dieser Abstimmung zu beteiligen, sondern sie den Betroffenen zu überlassen. Ich bin sicher, dass es in Vorbereitung der Abstimmung im Gymnasium viele Diskussionen in den Klassen gegeben hat, in denen das Für und Wider der Umbenennung abgewogen und auch die Person Hans-Dietrich Gescher genau beleuchtet wurde. Die dann erfolgte Abstimmung lieferte ein eindeutiges Ergebnis.
Das ist gelebte, gelehrte und gelernte Demokratie.
Auf so ein Engagement könnte man in einer Stadtverwaltung stolz sein, aber offensichtlich nicht in Halle. Statt sich der Kulturausschuss bei den Schülern und Lehrern für die vorbildliche Zuarbeit zur Entscheidungsfindung bedankt und die demokratisch ermittelte Willenserklärung begrüßt und bestätigt, werden Diskussionen mit Pseudoargumenten geführt, die mir beim Lesen die Sprache verschlagen, ganz abgesehen vom Ergebnis der Abstimmung. Der Kulturausschuss der Stadt Halle maßt sich mit der getroffenen Entscheidung an, dem gesamten Kollegium des Herdergymnasiums einschließlich der Schülerschaft die Kompetenz abzusprechen, sich der Tragweite einer Umbenennung der Schule - zur Ehrung Genschers in seiner Heimatstadt - bewusst zu sein.
Einer Ehrung, die in anderen Städten ohne großes Brimborium über die Bühne gegangen ist. Worauf die betroffenen Bürgervertreter diese Arroganz und Ignoranz aufbauen, erschließt sich mir nicht. Das Herdergymnasium hat es nicht versäumt, sich die Zustimmung zur Umbenennung der Schule von Barbara Genscher einzuholen. Diese erteilte sie erfreut und auch mit Stolz, wie in der MZ zu lesen war.
Das aufgeführte Possenspiel des halleschen Kulturausschusses ist ein Schlag ins Gesicht nicht nur für Barbara Genscher, sondern auch für alle Hallenser, die stolz auf ihre Stadt sein wollen und in vielen Punkten auch sein können. Für dieses Theater rund um die Ehrung Genschers in meiner (und seiner) Heimatstadt schäme ich mich.“ (Heike Künstner-Kubiczek)
„Hans-Dietrich Genscher war Übervater und Held zugleich.“
Halle bei Genscher unter Zugzwang: Gibt es keine wichtigeren Themen?
„Ich verstehe nicht warum die Stadt Halle angeblich so sehr unter Zugzwang steht eine Entscheidung für die Umbenennung eines Bahnhofsplatzes und einer Schule zu treffen. Georg Friedrich Händel hat Halle ebenfalls früh verlassen und sich eigentlich einen Kehricht um seine Geburtsstadt geschert. Sein Denkmal wurde über 100 Jahre nach seinem Tode aufgestellt.
Christian Wolff hat einen erhebliche Teil seines Lebens in Halle verbracht und hat nicht einmal eine Büste, nur ein Haus ist nach ihm benannt. Dabei ist sein Einfluss auf die Geisteswelt bis heute unbestritten. Herr Genscher, zugegeben, hat sich ein bisschen um Halle gekümmert. Trotzdem: Warum die Eile? Warum befeuert die MZ einen derartige Marginalie, haben wir keine anderen Probleme? Gibt es keine wichtigeren Themen? Sehr merkwürdig.
Ein Machtpolitiker, der Helmut Schmidt in den Rücken gefallen ist, ein Nutznießer der Perestroika-Politik von Michail Gorbatschow. Er hatte Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Platz zu sein. Besonders verdienstvoll war er in erster Linie für sein eigenes Vermögen und seine Machtposition. Alles keine Gründe für eine besondere Erwähung, geschweige denn die angebliche Notwendigkeit einer schnellen Entscheidung für die Namensgebungen. Als Zeitung aus einem eindeutig der FDP zugewandten Verlagshaus kann ich zwar die Parteinahme verstehen, allerdings nicht die schon kampagnenartige Beschimpfung des Stadtrates.“ (Siegfried von der Heide)
“Genscher war Übervater und Held zugleich.“
„Hans-Dietrich Genscher war ein Übervater und Held zugleich. Das beweisen seine vielen Ehrungen und Auszeichnungen, die Ämter, die er hervorragend ausgeübt hatte, sowie seine zahlreichen Veröffentlichungen zur Weltpolitik und auch zu Problemen der Stadt Halle.
Es ist schon eine Amtsanmaßung, sich negativ über Herrn Genscher zu äußern. Es sollte doch nur eine Namensänderung sein und keine Bewertung der Leistungen von Hans-Dietrich Genscher durch inkompetente Mitglieder des Kulturausschusses der Stadt Halle. Ich empfehle dem Stadtrat von Halle das Herdergymnasium umzubenennen.
Warum? Der Name Genscher ist ein Vorbild für die Schülerinnen und Schüler und motiviert sie zu besseren Leistungen. In den nächsten und künftigen Jahrzehnten wird jeder Schüler fragen, warum heißt dieses Gymnasium eigentlich Hans-Dietrich Genscher?
An die Lehrer wird die Anforderung heran getragen, seinen Lebenslauf mit „Leben“ zu erfüllen und die Verdienste Genschers herauszustellen. Viele Projektarbeiten können die Erinnerung an Genscher ermöglichen. Ich bin mir sicher, dass die Schülerinnen und Schüler des künftigen Hans-Dietrich-Genscher-Gymnasiums ihre Projektarbeiten dem Kulturausschuss zur politischen Weiterbildung zur Verfügung stellen werden. Viele Eltern fragen ihre Kinder, wie es heute in der Schule war.
Die Kinder werden zu Hause über Genscher erzählen können. Die Erinnerung an Genscher wird somit weit gefächert über Jahrzehnte hinaus erhalten bleiben.“ (Dr. Klaus Böhme)
Warum benennt man nicht die Schul-Aula nach Hans-Dietrich Genscher um?
„Bei allem Respekt vor der Person Genschers - es ist nicht zu erkennen, welches besondere Vermächtnis er verkörpern würde, an dem sich heutige und künftige Schülerinnen und Schüler orientieren und mit dem sie sich auseinandersetzen sollten. Er wäre wohl mehr so ein „Wohlfühl-Patron“, in dessen Berühmtheit sich die Schule sonnen könnte: „Schaut mal, so ein berühmter Mann, und er kam von hier und hat unsere Schule besucht!“
Warum will man eigentlich nicht dem sehr vernünftigen Vorschlag des Schulleiters folgen und die Aula nach dem berühmten ehemaligen Schüler benennen? Wäre das „zu wenig“ der Ehre? Der MZ täte ein wenig mehr journalistische Distanz bei der Berichterstattung hier ganz gut.“ (ahr66 auf MZ.de)
„Auch unter den Lesern gibt es genügend Provinzler.“
Hat die FDP in Halle nichts zu aktuellen Problemen beizutragen?
„Gleich noch eine Umbenennung in Möllemann-Schule, Westerwelle-Bad, Rößler-Krankenhaus. Hat die F.D.P. in Halle nichts zu aktuellen Problemen beizutragen? Die ehemalige Weingärtenschule, das heutige Künstlerhaus in Halle am Böllberger Weg 188, könnte doch in „Margot Honecker-Haus“ umbenannt werden. Schließlich ist sie doch dort zur Schule gegangen.“ (Roland Kurz auf MZ.de)
„Auch unter den Lesern gibt es genügend Provinzler.“
„Es gibt auch unter den Lesern genügend Provinzler. Es ist nicht mal möglich, einen anerkannten Sohn der Stadt ohne Umstände zu ehren. Fehler macht jeder Mensch, aber bei Herrn Genscher überwiegen die positiven Entscheidungen.“ (Felix Schrader auf MZ.de)
Dank an die MZ für ihr meinungsstarkes Engagement im Fall Genscher
„Das Vermächtnis und die Vorbildwirkung ist sicher in der Rolle Genschers als überragender Manager der deutschen Einheit zu sehen. Schewardnadse und Genscher haben in historisch einmaliger Manier, nach dem Zusammenbruch des Sowjetsystems in Ostdeutschland, in Europa den Frieden gesichert. Selbstredend dürfen Schulen auch nach großen politischen Persönlichkeiten benannt werden. Und ein Dank an die MZ für ihr meinungsstarkes Engagement in dieser Causa.“ (Raik auf MZ.de) (mz)