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Fahrradstadt Halle Wo sich das Reparieren lohnt: Fahrradwerkstattladen „Re-Cycle“

Der Werkstattladen „Re-Cycle“ in Halle kämpft mit günstigen Preisen gegen die Verschrottung an. Das lockt sogar Kundschaft aus Leipzig.

Von Robert Horvath 05.05.2023, 13:00
Sie erwecken Fahrräder aus sechs Jahrzehnten wieder zu neuem Leben: Tilman Brock (l.) und Besitzer Oliver Schein.
Sie erwecken Fahrräder aus sechs Jahrzehnten wieder zu neuem Leben: Tilman Brock (l.) und Besitzer Oliver Schein. (Foto: Xorro Art)

Halle (Saale)/MZ - Am kommenden Sonntag findet von 12 bis 17 Uhr der 1. Hallische Fahrrad Fohmarkt statt. Die MZ hat den Initiatoren vorab einen Besuch abgestattet und findet einen Fahrradwerkstattladen der besonderen Art.

Der sich im Wind drehende Vorderreifen eines grünen, aus der Hauswand ragenden Fahrrads in der Nähe des Hauptbahnhofes ist es, der die Aufmerksamkeit von Passanten erregt. Entdeckt werden kann er auf der Rudolf-Ernst-Weise-Straße. Aber erst das Schild verrät, was es damit auf sich hat. Einzelne Fahrradteile, wie Lenker, Speichen und Zahnrädern, ergeben den Schriftzug: „Re-Cycle - gebrauchte Räder und mehr“.

Die ausgeschilderte Ladenwerkstatt findet man auf dem Hinterhof. Zwei Männer arbeiten dort an der frischen Luft. Sie schrauben an Fahrräder herum. Zu ihren Füßen liegen Luftpumpe und diverse Werkzeuge. Eine kleine Treppe führt in das Geschäft hinab. Die Sonne scheint, und es ist warm genug, um diese Arbeit im T-Shirt durchzuführen. Dann fährt jemand mit dem Rad vor. Er will sich erkundigen, was eine Reparatur kostet. Der ältere der beiden wirft einen fachmännischen Blick auf das Rad, macht ein paar Handgriffe und fährt eine Proberunde auf dem Hof. Sein Fazit: „Das ist ein gutes Fahrrad. Da sind gute Teile verbaut.“

Die Details werden geklärt, ein Angebot für das Nötigste und eines für eine Komplettreparatur gemacht. Beide sind erstaunlich günstig. Mit: „Du kannst das Rad dann heute Abend abholen“, wird der Kunde verabschiedet. Dann wendet er sich der MZ zu. Während er ein Fahrrad repariert, kommen wir ins Gespräch.

Oliver Schein schraubt seit seiner Kindheit an Fahrrädern herum

Oliver Schein – Stoppelbart, Lippenpiercing, Brille und lange, braune Haare, die zu einem Dutt hochgesteckt sind – ist 43 Jahre alt, in Halle geboren und Besitzer des Werkstattladens. Er schraubt schon seit seiner Kindheit an Fahrrädern herum. Das sei aus der Not entstanden. Seine Eltern haben nach der Wende die Arbeit verloren. Sie waren nicht die Einzigen. Dem Kind – ihm – ein neues Fahrrad zu kaufen, daran sei nicht zu denken gewesen. „Gleichzeitig wurde sehr viel auf den Sperrmüll geworfen. Da habe ich mir die ersten Räder mitgenommen“, erzählt Schein. „Anfangs habe ich noch sehr viel kaputtrepariert“. Wenn er nicht weiter wusste, habe sein Großvater ihm geholfen. Während des Studiums, als andere in der Bar oder an der Supermarktkasse gearbeitet haben, hat er sich Geld mit der Reparatur von Fahrrädern dazuverdient.

Im Herbst 2015 fasst er dann einen Entschluss: Mit Fahrrädern möchte er seinen Lebensunterhalt bestreiten. Den Winter über reparierte er kaputte Räder und eröffnete im April des nächsten Jahres seinen Laden. „Dann kam Tilman um die Ecke und wollte hier arbeiten. Und ich habe ihn weggeschickt.“, erzählt Schein. „Ich hatte damals noch nicht genügend Kundschaft.“ Aber Tilman kam nach einem halben Jahr wieder. Das habe ihn beeindruckt, gibt Schein zu. „Seitdem ist er dabei.“

Woanders heißt es oft: Reparieren lohnt sich nicht mehr

Auch Tilman Brock kommt aus Halle. Der 32-Jährige trägt Bart- und Kopfhaar lang. Er ist froh, hier arbeiten zu können: „Ich habe Lust, die Fahrräder zum Leben zu erwecken oder am Leben zu erhalten. Das habe ich bei anderen Läden so nicht gesehen. Da wird oft gesagt: Das lohnt sich nicht mehr.“

„Der Name Re-Cycle ist Programm“, ergänzt Schein. „Wir bringen kaputte Räder aus sechs Jahrzehnten wieder in die Wertschöpfungskette ein. Das ist eine sehr bewusste Haltung, um gegen das Wegschmeißen vorzugehen. Und für viele ist das die letzte Möglichkeit, ihr Fahrrad wieder repariert zu bekommen.“ Das preiswerte Fahrrad- und Reparaturangebot hat sich mittlerweile bis über die Stadtgrenzen hinaus herumgesprochen: „Wir hatten als Kunden sogar schon Studenten aus Leipzig bei uns“, erzählt Schein.