Bröckelnde Mauern im Netz Wie Roboter Halles marode Abwasserkanäle reparieren

Halle (Saale) - In ihren weißen Schutzanzügen ähneln Jean-Pierre Suter und Enrico Mücke von der Firma Mitkanal dem Personal in einem Corona-Impfzentrum. Ihr Spezialgebiet sind allerdings marode Abwasserkanäle und ihre Reparatur. In der kleinen Flurstraße, Luftlinie 200 Meter vom Erdgassportpark entfernt, haben sie eine Baustelle eingerichtet. In zweieinhalb Metern Tiefe fließt Mischwasser durch eine gerade einmal 30 Zentimeter dicke, gemauerte Kanalröhre. Sie stammt aus der Jugendstilzeit, als das Wohnviertel entstand, ist gut 100 Jahre alt.
Kanalarbeit kein Hexenwerk
In einigen Bereichen ist der Kanal ramponiert, bröckelt die Mauer. Zunächst wurde ein Roboter in den hineingeschickt, um die Bruchstellen abzufräsen. Jetzt kommt quasi das Pflaster auf die Wunde. „Das, was wir machen, ist kein Hexenwerk“, sagt Suter. Mit seinem Kollegen streicht er eine Glasfasermatte mit einem Silikatharz-Gemisch ein. Anschließend werden die durchtränkten Matten auf einen Packer gewickelt, einen Kunststoffschlauch.
Durch den Schacht wird der Packer nach unten gelassen und von dort in den Kanal geschoben. Mit Stangen bringen die Arbeiter den einen Meter langen „Kurzliner“ in Position, überwacht von einer Kamera. Ist die Stelle erreicht, wird der Schlauch mit Druckluft aufgeblasen. Er dehnt sich aus und presst die Glasfasermatten kreisrund an die Wände des Kanals. Nach gut einer Stunde kann die Luft wieder raus, dann dichten die Matten die kaputten Stellen ab.

Ohne Roboter müssten im schlimmensten Fall Straßen und Gehwege ausgeschachtet werden
„Vor sechs Jahren haben wir in Halle das Reparaturprogramm für die kleinen Kanäle aufgelegt. Ziel ist, das Kanalnetz leistungsfähig zu halten, dabei aber nach den effektivsten Verfahren zu suchen“, sagt Romy Kloß, Bereichsleiterin in der Halleschen Wasser- und Stadtwirtschaft (HWS). Doch während große Kanäle begehbar sind, Schäden also von Fachpersonal direkt unter der Erde behoben werden können, ist das bei kleinen Röhren bis zu einem Durchmesser von 80 Zentimetern nicht möglich.

„Geht hier etwas kaputt, muss man im schlimmsten Fall Straße und Gehweg ausschachten. Das sorgt für Lärm. Straßen sind für längere Zeit gesperrt. Und es ist teuer“, sagt Henning Hübner, Kanalsanierungsberater bei der HWS. Das Sanierungsprogramm biete technische Alternativen, denn nicht immer seien die Kanäle so marode, dass die Erde aufgerissen werden müsse.
Roboter kriechen durch die maroden Kanäle in Halle
Und deshalb wird das verzweigte Abwassersystem gebietsweise mit einer Kamera befahren, das Bildmaterial danach ausgewertet. Experten wie Henning Hübner legen dann fest, welche Art der Reparatur in Frage kommt: Das Spektrum reicht von punktuellen Eingriffen mit dem Reparaturprogramm bis zum Einziehen langer Inliner - quasi einem neuen Rohr im alten Kanal. Nur wenn die Schäden zu groß sind, muss ein neuer Kanal in die Erde. „Das Verfahren ist effektiv. Wir planen, pro Jahr etwa 1,5 Millionen Euro in das Programm zu investieren. Damit können wir rund 42 Kilometer Kanäle sanieren“, sagt Romy Kloß.
Fachfirmen wie „Mitkanal“ aus Kabelsketal, die im Auftrag der HWS arbeiten, setzen dabei vor allem auf Roboter. Das sind keine kleinen Männchen, die durch die Rohre kriechen, sondern komplexe Maschinen, die mit Werkzeugen ausgerüstet ferngesteuert und auf Rädern in die Kanäle fahren und dort alle Arbeiten erledigen – vom Fräsen bis zur Sanierung.

Gearbeitet wird während das Mischwasser läuft.
„Das Verfahren gibt es seit Jahrzehnten. Aber natürlich wird die Technik stetig verbessert“, sagt Betriebsleiter Nico Günther. Seine Firma repariert nicht nur alte Kanäle, sondern auch verschlissene Hausanschlüsse.
Weitere 15 Jahre soll ein Kanal durchhalten, wenn er wie in der Flurstraße repariert wird. Das verschafft der HWS wertvolle Zeit, Investitionen zu planen. Gearbeitet wird übrigens, während das Mischwasser läuft. Für Arbeiter wie Enrico Mücke, die in den Schacht müssen, um den Roboter einzusetzen, kein Problem. „Wir sind hart im Nehmen. Aber hin und wieder eine Waschmaschinenspülung ist nicht schlecht. Dann riecht es mal anders.“ (mz/Dirk Skrzypczak)