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Erinnerungen  Warum der Hallenser Günther Fugmann an einer Genscher-Biografie mitwirkte. : Genschers bester Schulfreund

Von Detlef Färber 26.01.2017, 10:27
Günther Fugmann mit der Genscher-Biografie, an der einst mit geschrieben hat.
Günther Fugmann mit der Genscher-Biografie, an der einst mit geschrieben hat.  Günter Bauer

Halle - In Sachen Genscher kommt er sich fast schon vor wie der berühmte „letzte Mohikaner“. Vielleicht nicht der allerletzte, wenn es um jene geht, die einst mit dem späteren Weltpolitiker Hans-Dietrich Genscher die Schulbank gedrückt haben.

Hallenser Günther Fugmann ging einst mit Genscher in die gleiche Klassenstufe

Aber Günther Fugmann dürfte einer der letzten, noch aktiven und noch in Halle lebenden Mitschüler des „ewigen Außenministers sein“, der zeitgleich mit ihm in der gleichen Klassenstufe jener damals nur Reformgymnasium genannten Schule gelernt hat, die jetzt Herder-Gymnasium heißt: Und womöglich bald den Namen Genscher tragen wird.

Gerade hat Günther Fugmann seinen 90. Geburtstag gefeiert. Der einstige Lehrer ist für sein Alter noch sehr fit, wohnt im dritten Geschoss (ohne Fahrstuhl!) im halleschen Süden mit seiner gleichaltrigen Frau und kann sich – zumindest in Sachen Genscher – noch an so ziemlich alles erinnern: An einen „klugen, einfallsreichen und humorvollen Mitschüler“, einen, der „ehrgeizig, aber kein Primus“ war.

Der – „wie ich“, so Fugmann, ein zwar begeisterter aber nicht übermäßig talentierter Fußballer und Sportler gewesen sei. Der schon als Schüler in Diskussionen „bestimmt auftrat“, und der sich, „wenn er mal was nicht wusste, schnell kundig gemacht hat“.

Warum der ehemaliger Lehrer ein Kapitel in Genschers Biografie geschrieben hat

Gemeinsame Zeiten hatten Genscher, Fugmann und andere Klassenkameraden dann freilich auch als Flak-Helfer im Krieg, worüber Fugmann später übrigens in der 1988 erschienen Genscher-Biografie ein ganzes Kapitel schreiben durfte. (Unerhört: Ein Ost-Lehrer in einem West-Verlag!)

Später trennte die beiden Jugendlichen der Krieg. Wiedergesehen haben sie sich, als Fugmann den schwer erkrankten Studenten Genscher im Krankenhaus besuchte. Wenig später trennten sich ihre Wege erneut und für Jahrzehnte: Und nicht nur die von Fugmann und Genscher, sondern die Wege vieler Schulkameraden: Grund war der gewaltige Exodus von Akademikern aus der DDR in Richtung Westen – aus den bekannten Gründen.

Doch im Zuge der von Genscher selbst mit angeschobenen innerdeutschen Entspannungs- und Wiederannäherungspolitik suchte der FDP-Politiker dann unbeirrbar auch die alten Kontakte in seine Heimatstadt. Und fand unter anderem Günther Fugmann. Der erinnert sich etwa an eine Fernsehsendung namens „Klassentreffen“, die kurz nach der Wende Elke Heidenreich moderierte: mit jeweils einem Promi und dessen alten Schulfreunden.

Bei vielen der „inszenierten“ Klassentreffen dieser beliebten Reihe wirkte es freilich so, als ob es keine echten, erhalten gebliebenen Freundschaften waren: „Anders bei uns und Genscher“, so versichert Günther Fugmann. Dutzende Schul- und Klassentreffen habe man bis kurz vor seinem Tod mit Genscher buchstäblich gefeiert. Und außerdem jeden seiner runden Geburtstage, zu denen Fugmann und seine Frau auch nach Bonn oder gar in Genschers Privathaus nach Wachtberg bei Bonn eingeladen waren.

Spontan zusammen in Bologna

Einmal, „es muss 1988 gewesen sein“, sei er zur Buchvorstellung der Genscher-Biografie als Mitautor im Westen gewesen, erzählt Fugmann: „Am Tag darauf musste Genscher dienstlich nach Bologna. ,Komm doch einfach mit’“, habe der Außenminister zu ihm gesagt. Und Fugmann fuhr mit, obwohl sein DDR-Reisepass nur für die damals stets so genannte „BRD“ galt. Nicht ganz risikofrei war das für Genschers besten Schulfreund - doch aus heutiger Sicht ist es eine wunderbare Lebensepisode für den Hallenser, der dann selbstredend auch nach Bonn gefahren ist, um Genscher vor knapp einem Jahr die letzte Ehre zu erweisen.

Geblieben ist die Freundschaft der Fugmanns zu Genschers Witwe - und die Erinnerung an gemeinsame Feiern mit Genschers Freunden wie den Schauspielern Lieselotte Pulver und Willy Millowitsch. Und die Erinnerung etwa an die Rote Grütze, die Genscher für seine Partys als Dessert immer selbst und „vortrefflich“ zubereitet habe.

Was dagegen in Halle von Genscher bleibt, ist eine Sache, die Günter Fugmann derzeit ziemlich aufregt: „Es ist schlimm, wie schwer sich die Stadt mit ihm tut“, sagt er und macht keinen Hehl daraus, was seine Meinung ist: Eine Umbenennung des Bahnhofsvorplatzes und eine Benennung „unserer alten Penne“ nach Genscher, auch wenn es nicht die erste Umbenennung dieser Schule wäre! Dass sich das bei Günther Fugmann nicht gegen Herder richtet, sieht man beim ersten Blick auf das Bücherregal des Deutsch-Lehrers. Dort stehen zwischen vielbändigen Goethe-, Schiller- und Thomas-Mann-Ausgaben auch fünf Bände Herder. Fugmann liebt ihn wie viele Dichter, mit denen er selbst sich auch als Nachdichter befasst hat. Günther Fugmann war nämlich Jahrzehnte als Lehrer und stellvertretender Direktor in einer Schule für Gehörlose und Hörgeschädigte tätig.

Und hatte hier auch den Ehrgeiz, seinen Schülern möglichst viel aus der Literatur nahezubringen. Was dort freilich unter erschwerten Bedingungen erfolgen musste - denn: Beim Unterricht mit Hörgeschädigten komme es auf „einfache, kurze Sätze und eine klare Sprache“ an. Und auch auf langsames, deutliches Sprechen, um unter schwierigen Bedingungen Aufmerksamkeit zu finden für das, was man sagen muss.

Fast schon haargenau die gleiche Beschreibung, die Hans-Dietrich Genschers Schulfreund Günther Fugmann für die speziellen Anforderungen seiner Lehrtätigkeit formuliert, trifft auf das zu, was lange als das spezielle Talent und Verhandlungsgeschick des deutschen Außenministers galt: Eine einfache, klare und deutliche Sprache zu finden für das, was gesagt werden muss - freilich auf einer anderen Ebene. Diese Sprache aus bester hallescher Schule hat geholfen, den Kalten Krieg zu überwinden.

(mz)

Schulkameraden-Treff mit Genscher und Günther Fugmann (rechts von ihm)
Schulkameraden-Treff mit Genscher und Günther Fugmann (rechts von ihm)
Repro: Günter Bauer
Klassenfoto der 6b des Realgymnasiums von 1937 (Genscher oben 4.v.li.)
Klassenfoto der 6b des Realgymnasiums von 1937 (Genscher oben 4.v.li.)
Repro: Günter Bauer