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Reinhard Heydrich Wannsee-Konferenz: Reinhard Heydrich - Adolf Hitlers Planer aus Halle

Von Steffen Könau 15.01.2017, 11:12
Die „blonde Bestie“ Reinhard Heydrich (2. v. l.) als Abgesandter Hitlers für Böhmen und Mähren im September 1941 in der Prager Burg
Die „blonde Bestie“ Reinhard Heydrich (2. v. l.) als Abgesandter Hitlers für Böhmen und Mähren im September 1941 in der Prager Burg dpa

Halle (Saale) - Das eine Haus steht in der halleschen Gütchenstraße, viergeschossig, mit einem winzigen Erker. Fünf Minuten sind es von hier zu Fuß zum Steintorplatz der Saalestadt, zehn bis in die Innenstadt. Kein Schild und kein Mahnmal weist darauf hin, wer hier vor 109 Jahren mit seiner Familie einzog.

Reinhard Tristan Eugen Heydrich war ein vierjähriger Bengel in kurzen Hosen, Sohn eines Komponisten und Opernsängers, der im Hause eine Musikschule gründete.

Reinhards Vater Bruno hoffte darauf, dass sein Sohn eine große Musikerkarriere vor sich hatte, für seine Mutter Elisabeth war er ein in der besseren städtischen Gesellschaft vorzeigbares Kind. Er spielte talentiert auf der Geige und er sang tonrein, nur seine Stimme wurde später als quietschig beschrieben, so dass aus der Künstlerkarriere nichts wurde.

Reinhard Heydrich besucht in Halle Reformgymnasium

Auf Reinhard Heydrich wartete eine ganz andere Laufbahn, die eng verbunden ist mit einem anderen Gebäude. Es steht in einer einst exklusiven Villengegend am Wannsee in Berlin, im 19. Jahrhundert „Colonie Alsen“ genannt. Als Reinhard Heydrich in Halle in die dritte Klasse des Reformgymasiums kommt, beginnt an der Adresse am Großen Wannsee 56-58 der Bau einer Villa, entworfen vom Architekten Paul O. A. Baumgarten, der zuvor schon ein Haus für den Maler Max Liebermann ganz in der Nähe errichtet hatte.

Mehrfach wechselt der Besitzer des riesigen Gebäudes mit 1.400 Quadratmetern Wohnfläche. Ehe es die Nordhav-Stiftung 1940 vom letzten Eigentümer kauft, der wegen Betruges eine Haftstrafe antreten muss.

SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich kauft Haus am Wannsee

Es schließt sich ein Kreis zwischen Halle und Berlin: Gründer und Chef von Nordhav ist eben jener Reinhard Heydrich aus der Gütchenstraße, inzwischen ein mächtiger Mann in der SS Heinrich Himmlers.

Das Haus am Wannsee kauft Heydrich, als SS-Obergruppenführer die rechte Hand Himmlers, um ein SS-Erholungsheim daraus zu machen. Noch 1940 ist, Aufzeichnungen von Himmler zufolge, zwar an eine Endlösung der Judenfrage gedacht. Die aber, so schreibt der spätere Protokollführer der Wannsee-Konferenz Adolf Eichmann, solle in einer Aussiedlung nach Afrika bestehen.

Auf der sogenannten Wannsee-Konferenz kamen am 20. Januar vor 75 Jahren in einer Villa am Wannsee in Berlin 15 hochrangige Vertreter der nationalsozialistischen Reichsregierung, der NSDAP und der SS zusammen, um unter dem Vorsitz von SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich, dem Chef der sogenannten Sicherheitspolizei, den begonnenen Holocaust an den Juden im Detail zu organisieren und die Zusammenarbeit der beteiligten Instanzen zu koordinieren.

Im Sommer 1941 ist daran nicht mehr zu denken. Mit dem Überfall auf Polen hat der Hitlerstaat nicht nur unendliche Weiten im Osten gewonnen, sondern auch Millionen Bürger jüdischer Abstammung.

Am 31. Juli erteilt Hermann Göring Heydrich die Weisung, „unter Beteiligung aller infragekommenden anderen Zentralinstanzen alle erforderlichen Vorbereitungen für die Gesamtlösung der Judenfrage in Europa zu treffen“.

Reinhard Heydrich war glühender Antisemit und Nationalsozialist

Reinhard Heydrich, nationalistisch erzogen und seit seiner Entlassung aus der Reichswehr wegen eines gebrochenen Eheversprechens und der nachfolgenden Vermählung mit der aus einer streng nationalsozialistischen Familie stammenden Lina Mathilde von Osten selbst immer rechtsextremer geworden, pariert. Während die ersten Transporte schon Juden aus dem Reichsgebiet nach Osten bringen, lädt Heydrich eine handverlesene Runde ins SS-Gästehaus.

Die Vorarbeit hatte der Hallenser selbst geleistet. Bereits im Januar 1941 legte der Chef des Reichssicherheitshauptamtes Hitler einen ersten Plan für die europaweite Endlösung vor. Danach sollten alle Juden in einem „noch zu bestimmenden Territorium“ außerhalb des Reichsgebietes angesiedelt werden.

Später, nach einem Sieg über die Sowjetunion, würden die vier bis sieben Millionen Menschen dann weiter nach Osten deportiert werden. Heydrich, ein glühender Antisemit, hörte Hitler genau zu, als der eine Beseitigung der „jüdisch-bolschewistischen Intelligenz“ forderte.

Reinhard Heydrich bereitwilliges Werkzeug Adolf Hitlers

Die Sondereinsatzkommandos der SS - zum Teil unter direktem Befehl Heydrichs - mordeten schon, als der frühere Marineoffizier und begeisterte Fechter darangeht, die parallel auf verschiedenen Ebenen angelaufenen Bemühungen, möglichst viele Juden möglichst schnell zu töten, zu ordnen, in ein System zu gießen und es sich selbst zu unterstellen.

Goebbels notiert in diesen Tagen nach dem Kriegseintritt der USA, Hitler sei entschlossen, „in der Judenfrage reinen Tisch zu machen“. In der „blonden Bestie“, wie Heydrich später als Stellvertretender Reichsprotektor in Böhmen und Mähren genannt wird, findet der Führer ein bereitwilliges Werkzeug.

Treffen der Größen in Nazideutschland im Haus Wannsee

Heydrich, von seinem Schützling, dem Geheimdienstchef Walter Schellenberg, als femininer Typ mit hoher Stimme und spinnengleichen Fingern beschrieben, ruft am Wannsee zusammen, was in Staatsbürokratie und SS-Parallelstaat Rang, Namen und die Macht hat, das größte Mordprojekt der Menschheitsgeschichte möglichst leise und unauffällig zu organisieren.

Das Außenministerium ist dabei, das Innenministerium, ein Vertreter der NSDAP, die staatliche Planbehörde, Leute vom Propaganda- und vom Justizministerium, das Ostministerium, die Zivilverwaltung und die SS.

Lina Heydrich nimmt Ehemann Reinhard in Biografie in Schutz

Selbst seine Ehefrau Lina Heydrich, einer auch nach Kriegsende weiter treu zur Sache stehenden Nationalsozialistin, weihte Reinhard Heydrich nicht in Einzelheiten des Planes zur Ermordung der europäischen Juden ein. Lina Heydrich, die in einem rechten Verlag eine Biografie ihres Mannes veröffentlichte, behauptet, Heydrich habe vom Umsiedeln der Juden gesprochen und das Treiben der Sonderkommandos ihr gegenüber verurteilt - was umso weniger glaubwürdig klingt als Heydrich selbst Chef der Sondereinsatzkommandos war.

Doch beim Leugnen von Wissen um den planmäßigen Völkermord lieferten  sich die Spitzen des Nazi-Regimes nach Kriegsende ein Wettrennen: So behauptete Albert Speer, der als Hitlers Wirtschaftsminister selbst KZs besichtigte und KZ-Häftlinge für sich arbeiten ließ, er sei nicht eingeweiht gewesen in die industrielle Vernichtung von Millionen Menschen. 

Selbst für Heinrich Himmler, den Chef der SS, die die Ermordung  betrieb, fand sich eine Entlastungszeugin. Hitlers Sekretärin Christa Schröder beschrieb einer britischen Historikerin, wie Himmler ein Vieraugen-Gespräch mit Hitler Anfang 1941 völlig entgeistert verlassen, das Gesicht in den Händen vergraben und „Mein Gott, was erwartet man von mir“ gestöhnt habe. Christa Schröder glaubte, das sei der Tag gewesen, an dem Hitler Himmler seine Entscheidung mitgeteilt habe, alle Juden zu ermorden.

Protokolle der Wannsee-Konferenz

Eine deutsche Konferenz, bei der eine Runde von Staatssekretären um einen Tisch sitzt, um nach bürokratischen Grundsätzen über das Leben und den Tod von - diese Zahl gibt das von Adolf Eichmann verfasste Protokoll der Sitzung an - elf Millionen Männern, Frauen und Kindern zu beschließen. Von Hinrichtungen, wie sie später mit industrieller Routine stattfinden, ist aber auch in dem nur ganze 30 Mal vervielfältigten Geheimprotokoll nicht die Rede.

Peinlich achtet Reinhard Heydrich darauf, dass alle wissen, worum es geht. Und die Spuren zugleich überschaubar bleiben. Die Endlösung in ihrer niedergeschriebenen Form ist zynisch, aber das Grauen von Auschwitz wird hier nicht angewiesen.

Vielmehr belässt es Hitlers Hirn aus Halle bei einer passiven Vorhersage, wie die „Endlösung“ im Grunde ganz von selbst geschehen werde. Danach sollen die Juden „in großen Arbeitskolonnen straßenbauend“ in die neuen Ostgebiete ziehen. „Wobei zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird“.

Der „allfällig endlich verbleibende Restbestand“, so heißt es im kalten Planer-Deutsch, werde dann „entsprechend behandelt werden“, da er sonst die Keimzelle eines neuen jüdischen Aufbaus zu werden drohe. (mz)

Ein jüdisches Geschäft in Bernburg: Im Januar 1942 begannen die Deportationen in die Vernichtungslager.
Ein jüdisches Geschäft in Bernburg: Im Januar 1942 begannen die Deportationen in die Vernichtungslager.
Privat
Nach den Plänen des Hallensers wurden Millionen ermordet.
Nach den Plänen des Hallensers wurden Millionen ermordet.
dpa