Vom Sturmpanzer unter das Fallbeil
Halle/MZ. - Wie grausam das Regime auch gegen Wehrmachtsangehörige vorging, verdeutlicht das Schicksal von elf Panzersoldaten der Sturmabteilung 216, die im Februar 1944 in Halle hingerichtet wurden.
Johann Hoops und Johann Lukaschitz sind zwei der Opfer. Sie waren erst 20 und 24 Jahre alt. Ihre Namen sind eingemeißelt in kleinen, rötlich schimmernden Grabsteinen auf dem Getraudenfriedhof. Kaum noch ist die Schrift zu lesen. Hunderte Steine liegen hier. Von 1950 bis 1953 ist das Mahnmal für die Opfer des Faschismus angelegt worden - im Gedenken an 687 Tote. "Es darf nicht vergessen werden, was geschehen ist", sagt Michael Viebig, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Gefängnis-Gedenkstätte "Roter Ochse".
Viebig ist bemüht, Lebenswege von Naziopfern nachzuzeichnen. Die Grausamkeit des Systems im Ganzen wird durch das Martyrium des Einzelnen fühlbar. Als Viebig über die Hinrichtungsstätte im Roten Ochsen forschte und 1998 eine Dokumentation darüber schrieb, stieß er auf jene Panzersoldaten, für deren Leben Halle die Endstation war.
Juli 1943. Die verlustreiche Schlacht am Kursker Bogen tobte. Ein letzter Versuch der Wehrmacht, an der Ostfront die Oberhand zu gewinnen. 60 000 deutsche Soldaten verloren ihr Leben. Viele, die überlebten, waren unzufrieden. In der Panzer-Sturm-Abteilung 216 gründete sich ein Soldatenrat. "Übermut und eine Portion Schnaps sollen dabei ein Rolle gespielt haben", fand Viebig heraus. Im Gefechtsbunker wurden russische Schallplatten gespielt und das Lied "Brüder zur Sonne, zur Freiheit" gesungen. Hitler-Bilder gingen zu Bruch. Es folgte die Verhaftung von 17 Soldaten durch die Geheime Feldpolizei. Das Torgauer Reichkriegsgericht erkannte in elf Fällen auf Wehrkraftzersetzung und Verrat und verhängte die Höchststrafe. "Schon am ersten Verhandlungstag, dem 22. Dezember, gab es das erste Todesurteil", erzählt Viebig. Es traf den Gefreiten Hugo Ruf, er hatte ein Flugblatt des Nationalkomitees Freies Deutschland (NKFD) gefunden, nicht abgeliefert und den Soldatenrat initiiert. Am 11. Februar starb Ruf, der aus dem Saarland stammte, im Roten Ochsen durch den Strang. Johann Hoops, Gefreiter, und Johann Lukaschitz, Obergefreiter, waren zuvor durch das Fallbeil enthauptet worden.
Von Hoops liegen Briefe aus der Todeszelle an seine Schwester vor. "Ich denke den ganzen Tag an Euch, und ganz besonders an unseren lieben Vati,weil er doch im Osten steht", heißt es darin. Hoops hat nicht ahnen können, wie brutal das Gericht urteilen würde. Sein Gnadengesuch wurde abgelehnt. Lukaschitz gehörte dem "Soldatenrat" gar nicht an. Er starb wegen "Nichtanzeige eines geplanten Kriegs- und Hochverrats" - in den Augen des Reichskriegsgerichts ein schweres Verbrechen.
"Lukaschitz wurde zum Verhängnis, dass er einer sozialistischen Jugend-Organisation in Österreich angehört hatte", berichtet Viebig, der alle elf Todesurteile unter die Lupe genommen hat. Weshalb sie in dieser Härte ergingen, erklärt er sich damit, dass das Gericht ein Exempel statuieren wollte, um Nachahmer abzuschrecken. Hitler und die Armeeführung seien in Sorge gewesen, dass sich die Soldaten wie im November 1918 gegen die Herrschenden auflehnen könnten.
Im "Roten Ochsen" bauten die Nazis 1943 einen neuen Hinrichtungsraum. In Torgau Verurteilte hatte man bis dahin in Weimar enthauptet. Nun, da es immer mehr Todesurteile nicht nur gegen Wehrmachtsangehörige gab, stand auch in Halle ein Fallbeil. Die letzte von 549 Hinrichtungen unter Naziherrschaft fand am 10. April 1945 statt. "Die Ermordeten aus der Panzer-Abteilung 216 besaßen fast alle das Eiserne Kreuz", berichtet Viebig, "sechs hatten der Hitlerjugend, drei der SA angehört." Doch das Regime hat keine Gnade gekannt.