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Verkehr Verkehr: Hochstraße Halle - Die größte Baustelle der Stadt

Von Michael Falgowski 10.09.2016, 10:02
Schon auf Halles Hochstraße herrscht dank Bauarbeiten das Vekehrschaos.
Schon auf Halles Hochstraße herrscht dank Bauarbeiten das Vekehrschaos. Andreas Stedtler

Halle (Saale) - Diese Straßenbaustelle ist oben, weit oben. So bei sieben bis fast neun Metern. Die Fahrbahn führt nur wenige Meter an den Fenstern des Waisenhauses der berühmten barocken Schulstadt Franckesche Stiftungen vorbei, auf Höhe der zweiten Etage. Die Fenster des Elisabeth-Krankenhauses wiederum sind keinen Steinwurf entfernt.

Der Wind geht immer hier oben über dem Franckeplatz, zwischen den markanten Gebäuden. Und er ist selbst an heißen Sommertagen wie derzeit ein Problem. „Er dörrt hier oben die Kollegen förmlich aus. Nach acht Stunden sind sie kräftemäßig echt durch“, sagt Daniel Böttcher. Der Bauleiter ist über ein schwankendes Treppengerüst hinauf auf die ungewöhnlichste Baustelle Sachsen-Anhalts gestiegen: auf Halles Hochstraße.

„Städtebauliches Monstrum“

Die Stelzen-Trasse ist auch ein Symbol für die Architektur der Moderne. Sie ist wohl die längste Hochstraße, die in der DDR gebaut wurde. Und die erste, 1971 eröffnet. Sie ist der markanteste Teil einer sechs Kilometer langen Magistrale und verband die ab 1964 entstandene „Chemiearbeiterstadt Halle-West“, die später Halle-Neustadt hieß, mit dem ebenfalls aufwendig umgestalteten Ernst-Thälmann-Platz, dem verkehrsreichsten Platz der DDR.

In nur vier Jahren wurde das Großprojekt über die Saale und durch die Altstadt getrieben. Die längst abgerissenen Punkthochhäuser zwischen Elisabeth-, Georgen- und Moritzkirche, die die Straße flankierten, stellten einst die Silhouette der Altstadt in den Schatten. Die 30 Meter hohen Lichtmasten säumen die Trasse nach wie vor.

Die große Geste des Baues war gewollt: „Wir sind dabei, die unseligen Spuren der Riebecks zu verwischen“, hieß es in einer Mitteilung der SED-Stadtleitung. Riebeck - nach dem der ThälmannPlatz inzwischen wieder benannt ist - war ein verdienstvoller hallescher Großindustrieller mit sozialer Ader, Erbauer zum Beispiel des Riebeck-Stiftes.

Die Betontrasse verläuft mitten durch die Stadt. Sie teilt die Saalestadt. Oder verbindet sie, je nach Sichtweise. Als „städtebauliches Monstrum“ oder als Segen, der den Verkehr zwei Etagen höher verlegt, wird die Trasse in Halle gleichermaßen gehasst und geliebt. Genutzt aber wird sie als wichtigster Saaleübergang von allen.

Nach Angaben der Stadt fahren 40.000 Autos täglich auf der Trasse durch die Innenstadt - das sind Zahlen wie auf einer Autobahn. Diese Menge an Fahrzeugen drängt sich derzeit auf der Nordbrücke. Dort geht es nur einspurig voran. Oder eben gar nicht. Die Südbrücke ist gesperrt. Tausende Autofahrer sehen täglich dabei zu, wie auf der Hochstraße gearbeitet wird. „Die rufen schon mal was rüber, wenn sie im Stau stehen. Aber da sind die Kollegen abgehärtet“, sagt Bauleiter Daniel Böttcher.

3,2 Millionen Euro - Je Fahrbahn

Das schlanke Straßenbauwerk besteht aus zwei nebeneinanderliegenden Brücken, 660 Meter lang ist die südliche, knapp 700 Meter die nördliche. Dort lässt die Stadt derzeit vor allem die sogenannten Kappen, das Gesims, erneuern. Es bildet den aufgesetzten Rand der Fahrbahn, auf dem das Geländer steht.

Immerhin 3,2 Millionen Euro kostet diese Sanierung. Pro Fahrbahn. Die erhöhten Kappen verhindern auch, dass Fahrzeuge in die Tiefe stürzen können. Technologisch eine ganz normale Brückensanierung, sagt der erfahrene Bauleiter Böttcher. Aber eine normale Brücke ist die Hochstraße eben nicht.

Herausforderung in mehrfacher Hinsicht

Allein auf dem Südteil werden Randaufbauten und insgesamt 1.800 Meter Geländer und Leitplanken abgebrochen und erneuert. „Auf rund 80 Jahre Lebensdauer ist so eine Spannbetonbrücke problemlos veranschlagt. Für die Kappen als Verschleißteile sind nur 40 Jahre vorgesehen. Sie sind also schon seit fünf Jahren überfällig“, erläutert Daniel Böttcher. An vielen Stellen bröselt bereits der Beton. Mit einem leichten Stoß seines Stiefels kann er eine Kante an der Fahrbahn lostreten.

Bis zum Beginn der Sanierung hat die Stadtverwaltung dafür gesorgt, dass einmal jährlich eine Hebebühne unter der Brücke entlangfuhr, von der aus Bauarbeiter lose Teile abschlugen. Um zu verhindern, dass diese irgendwann auf arglose Passanten niederprasseln. Ausgetauscht wird zudem das Geländer. Viele Teile aus dem Jahr 1971 sind völlig verrostet.

Die Baustelle ist gleich in mehrfacher Hinsicht eine Herausforderung: logistisch, wegen ihrer Enge und wegen der Gefahr, die von ihr ausgehen könnte. Beim Abbruch und Gießen des neuen Gesimses darf schließlich nichts herunterfallen. Denn dort unten, am Franckeplatz etwa, bewegen sich Tausende Passanten, fahren Zehntausende Autos und Hunderte Straßenbahnen täglich.

Die Brückenkante wird deshalb jeweils praktisch eingehaust. Je sechs sogenannte Abbruch- und Schalwagen wurden aus diesem Grund eigens für die Baustelle montiert. Zehn Tage benötigen die Arbeiter für den Abbruch und das Gießen der neuen Kappen auf dem einen Abschnitt.

Dann werden die 15 Tonnen schweren und gut elf Meter langen Wagen-Konstruktionen auf eigens verlegten Schienen weiter geschoben. Nach unten, in Richtung Straße, sind sie geschlossen. Wieder eine Herausforderung: Stets aufs Neue muss der Sicherheitsabstand der Wagen nach unten beachtet werden - für die Durchfahrtshöhen der LKW. Und die Oberleitung der Straßenbahn.

90 Prozent Handarbeit

Auch die hohen Lampen neben der Trasse sind im Weg – Zentimeterarbeit. „Der Teufel steckt eben im Detail. Es ist schon eine recht schwierige Baustelle“, sagt Sven Brosge, Bereichsleiter Westsachsen bei der Strabag AG, die den Auftrag für die Sanierung bekommen hat.

Die Spannbetonbrücken seien eine echte ingenieurtechnische Leistung. „Um derart schlank sein zu können, wurden die Brücken mit Quer- und Längsseilen aus Stahl gespannt. Diese eingegossene, sogenannte Vorspannung im Beton darf nun beim Abriss der aufgesetzten Kappen keinesfalls getroffen werden“, erläutert Brosge.

Alle 45 Zentimeter ist etwa die Querverspannung in den Kragarmen der Brücke, auf der die Kappen gegossen werden, gesetzt. Um sie nicht zu treffen, besteht die Kappensanierung zu 90 Prozent aus Handarbeit. Mit Presslufthämmern wird die Kante abgebrochen. „Bergmännisch“, wie Brosge sagt. Großes Gerät könne man nicht einsetzen.

Und jeden Tag erfolgt ein Betongang. Nicht zuletzt macht das auch Lärm, mitten in der Stadt. Und Staub. Brosge weiß das. „Wir versuchen auf die Anlieger Rücksicht zu nehmen. Aber Beton ist Beton, und der Zeitplan der Sperrung für den Verkehr ist extrem eng gesetzt.“

Den Autofahrern auf der Nordseite ist egal, wie hart oder unter welchem Zeitdruck drüben auf der anderen Brücke gearbeitet wird. Sie wollen, dass endlich wieder beide Trassen genutzt werden können. Im Dezember ist es soweit. Dann wird der stete Wind vielleicht eisig sein. Böttcher und seine Kollegen von der Strabag AG wollen dann die Hochstraße wieder geräumt haben. Aber nur bis April. Dann wird der Verkehr auf die Südbrücke in den Stau geschickt.

Daniel Böttcher von der Strabag AG leitet die Baustelle in Halles Innenstadt.
Daniel Böttcher von der Strabag AG leitet die Baustelle in Halles Innenstadt.
Andreas Stedtler