Unabhängiges Leben als Ziel
Halle/MZ. - Dabei vermittelt er auch lebenspraktische Fertigkeiten - also Techniken für den Alltag, die den Rehabilitanden ein möglichst unabhängiges Leben ermöglichen. Und er ist Ansprechpartner in jeder Hinsicht: "Es geht auch um die Annahme der eigenen Situation", sagt er.
Da er selbst seit seiner Kindheit blind ist, kann er sich gut in die Lage der Rehabilitanden hineinversetzen. "Das Lesen ist das Schwierigste", sagt er. Seine Aufgabe sei es deshalb, bei ihnen einen Automatismus zu entwickeln, damit sie bei der Identifikation der Buchstaben nicht von einem Symbol ins andere rutschen. Schließlich können die sechs Punkte, auf denen die Blindenschrift aufbaut, in 64 Varianten kombiniert werden.
Bevor Roland Gotscha im Januar 2001 seine erste Klasse übernahm, hatte er selbst ein Jahr lang an einer Rehabilitationsmaßnahme teilgenommen. Dabei wurde er gezielt auf die Tätigkeit als Ausbilder für die Punktschrift vorbereitet, nachdem feststand, dass er für die Stelle geeignet ist. "Ich war einfach im richtigen Moment am richtigen Ort", sagt er am Mittwoch. Nie zuvor hatte er pädagogisch gearbeitet - eigentlich ist er Diplomwirtschaftsingenieur. Für die neue Aufgabe gab er damals seinen ehrenamtlichen Posten als Stadtrat in Hoyerswerda, seiner Heimatstadt, auf. Schließlich bot ihm die Tätigkeit in Halle nach fünf Jahren Arbeitslosigkeit eine Perspektive.
Zumal ihm die Stadt nicht gänzlich fremd war: Als Erstklässler besuchte er die Sehschwachenschule in Halle. Da es seine Sehkraft jedoch nicht erlaubte, das Alphabet ohne unvertretbare Anstrengungen zu lernen, kam er schließlich an die Blindenschule in Königs Wusterhausen, wo er sein Abitur machte. Danach absolvierte er eine Ausbildung zum Facharbeiter für Schreibtechnik in Karl-Marx-Stadt, bevor er sich in einem Abendstudium mit dem Wirtschaftsingenieurwesen beschäftigte.
In seiner heutigen Arbeit wird Roland Gotscha von einer Arbeitsplatz-Assistentin unterstützt. Barbara Rüprich übernimmt Tätigkeiten, die für ihn nur mit unvergleichlich hohem Zeitaufwand oder gar nicht zu bewältigen wären. So nimmt sie etwa Eintragungen in den Klassenbüchern vor, hilft bei der Vorbereitung auf den Unterricht - etwa wenn keine brauchbaren Bücher in Braille-Schrift vorliegen - oder kontrolliert die Arbeiten der Rehabilitanden.
Seit über drei Jahren wird ihm die Arbeitsplatz-Assistentin zur Seite gestellt. Der 51-Jährige ist froh, dass es diese Form der Hilfestellung gibt: "Sie ermöglicht es mir, unabhängig zu arbeiten".