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Trendsport Jugger Trendsport Jugger: Wie im falschen Film

Von THOMAS LIERSCH 30.06.2011, 20:09

Halle (Saale)/MZ. - "3,2,1 Jugger!", hallt es über die Wiese. Dann gehen zwei Horden in vollem Lauf aufeinander los. Sie tragen Ausrüstung bei sich, die an Schwerter oder Lanzen erinnert. Einer schwingt eine drei Meter lange Kette mit einer großen Kugel an ihrem Ende durch die Luft. Passanten am Wegesrand bleiben abrupt stehen. Sie scheinen sich zu fragen, ob sie im falschen Film sind.

Ganz falsch liegen sie mit dieser Vermutung auch nicht. Die Szenen, die sich vor ihren Augen auf der Würfelwiese abspielen und anmuten wie eine mittelalterliche Schlacht - sie sind tatsächlich einem Film nachempfunden. Die vermeintlichen Kämpfer trainieren für ihre Sportart, die von einem australischen Endzeitfilm aus dem Jahre 1989 inspiriert ist. Der trägt den Titel "Die Jugger - Kampf der Besten" und spielt im 23. Jahrhundert nach einer atomaren Katastrophe. Er begleitet eine Gruppe von Gladiatoren, die von Dorf zu Dorf zieht, um mit diesem brutalen Spiel ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Der dem Film nachempfundene Sport und die Spieler heißen "Jugger". In der englischen Umgangssprache bedeutet "Jugg" soviel wie "Hundekopf" - und Hundeschädel dienen im Film als Spielgerät. Selbst Wolf Scheliga, der Jugger mit der Kette, sagt: "Der Film ist wirklich lausig, aber wir haben ihn alle gesehen." Und Entwarnung an alle Tierschützer: Im Jugger-Sport bieten gebastelte Exemplare mit Schaumstoff-Kern Ersatz.

Ganz anders denkt er über die Spielidee seines Sport. Die sei super und denkbar einfach: Jeder Angriff zielt darauf, den "Jugg" ins gegnerischen Ziel zu bringen. Klingt fast wie Fußball. Doch das Ziel ist ein Schaumstoff-Trichter auf dem Boden. Wer am häufigsten trifft, der gewinnt.

So weit so simpel. Doch jetzt kommen die Details: Die Teams treten mit je fünf Spielern an. Wichtig ist der "Quik", ein unbewaffneter Läufer. Er darf als einziger den "Jugg" aufnehmen. Die anderen vier Spieler versuchen, den gegnerischen "Quik" aufzuhalten und den eigenen zu schützen.

Klingt fast wie American Football. Doch jetzt kommen die Waffen ins Spiel. Ein Spieler jedes Teams darf eine Kette schwingen, drei bis vier sind mit den sogenannten "Pompfen" ausgerüstet, das sind Schwert- oder Lanzen-ähnlichen Gegenstände.

Wichtig ist: Das Ganze scheint von außen viel martialischer, als es tatsächlich ist. Die jungen Leute, die meisten Mitte zwanzig, spielen doch nur. Die selbstgebauten Pompfen und Kette sehen zwar nach Waffen aus, sind im Gegensatz zum Film aber dick gepolstert. "Die häufigste Verletzungsursache ist das Vertreten im unebenen Rasen", erklärt Scheliga.

Um Wirkungstreffer geht es ohnehin nicht. Eigentlich tippen die Jugger einander nur an. Zur Sicherheit tragen manche Männer trotzdem einen Tiefschutz. Denn mit Treffern kann man Gegner aus dem Spiel nehmen. Details? Kopf und Hände zählen nicht als Treffer, wer anderswo getroffen wird oder das 20 mal 40 Meter große Spielfeld verlässt, muss niederknien und fünf Trommelschläge aussetzen. Wen die Kette trifft, der setzt acht Schläge aus. Die Trommelschläge ertönen im Abstand von anderthalb Sekunden. Ganz wichtig: Eine Halbzeit dauert 100 Schläge.

Das alles klingt mächtig exotisch. Dabei ist der Sport Jugger in Deutschland durchaus auf dem Vormarsch. Seit Mitte der 90er Jahre verbreitet er sich. 2003 wurde gar eine Jugger-Liga gegründet. Der 29-jährige Kettenmann Scheliga - im wahren Leben Erzieher - erklärt stolz: "Jugger ist wirklich groß im Kommen." Und er hat dazu seinen Teil beigetragen.

Gemeinsam mit Kumpel und Mitbegründer der "Halleschen Doppelsöldner" Carl Baum sorgte er dafür, dass die Franckeschen Stiftungen ihr Team Anfang des Jahres als Sportgruppe aufgenommen haben. "Dort waren die Verantwortlichen erst ziemlich skeptisch", erinnert sich Scheliga. "Aber mit einem Probe-Spiel haben wir die Bedenken ausräumen können." Seitdem steht der Mannschaft mit schon 30 Mitgliedern und 21 gemeldeten Ligaspielern auch eine Halle zur Verfügung.

Die Messlatte für einen guten Jugger liegt ziemlich hoch: "Er sollte Teamfähigkeit, Ausdauer und Übersicht mitbringen und natürlich Zweikampfstärke", sagt Scheliga. Nicht wenig.

Doch wie erklärt sich die Jugger-Begeisterung in Deutschland? Immerhin findet sich hierzulande neben Australien ein Zentrum dieses Sports, der auch in Irland, England, Dänemark, Spanien und Costa Rica betrieben wird.

Antwort gibt die 20-jährige Studentin Theresa Marx. Sie ist eine der Schaulustigen, die plötzlich stehen geblieben ist, um die Jugger zu beobachten. Und der Virus dieses Sports hat auch sie sofort infiziert. "Ich bin allgemein sehr unsportlich, aber das sieht aus, als ob es viel Spaß macht", sagt sie. "Beim nächsten Mal komme ich sicher mit dem passenden Schuhwerk."