"Tränen in die Augen geschossen" "Tränen in die Augen geschossen": Warum Hallenserin die Arbeit mit Behinderten so liebt

Halle (Saale) - Den Tag, an dem Martina Staude ganz genau wusste, das Richtige gefunden zu haben, wird sie nie vergessen. Es war Weihnachten 2001, und sie hatte gerade ganz angefangen, für den Verein Lebenshilfe in Halle zu arbeiten. Die Lebenshilfe bietet Menschen mit Behinderung eine Arbeitsmöglichkeit und unterhält auch mehrere Wohnheime in der Stadt.
„Kurz bevor der Weihnachtsmann kommen sollte, zupfte mich ein kleines Mädchen die ganze Zeit am Pullover, weil sie so aufgeregt war“, erzählt die 65-Jährige. „Bei der Bescherung jauchzte sie dann überglücklich, obwohl sie nur ein kleines Set Malstifte bekommen hatte. Da sind mir Tränen in die Augen geschossen, und ich wusste, dass ich hier richtig bin.“
2020 feiert Lebenshilfe Halle 30-jähriges Jubiläum
Heute, fast zwei Jahrzehnte später, ist Martina Staude Geschäftsführerin der Saale-Werkstätten im Verein Lebenshilfe, die sich in den vergangenen Jahren immer weiter vergrößert haben. 2020 feierte der Verein sein 30-jähriges Jubiläum. Er war 1990 von einigen Eltern gegründet worden, die ihre behinderten Kinder besser fördern wollten.
Damals hieß die Lebenshilfe Halle auch noch „Verein zur Förderung geistig Behinderter“. Die Zahl der betreuten Menschen mit Behinderung ist seitdem von anfangs 60 auf mittlerweile rund 700 gestiegen. Insgesamt 260 Mitarbeiter kümmern sich um die Betreuung und Ausbildung.
Lebenshilfe Halle: „Es hat sich unglaublich viel entwickelt“
„Es hat sich unglaublich viel entwickelt“, sagt Staude. Früher hätten die Werkstätten eher einen rein pädagogischen Ansatz gehabt: Die handwerklichen Arbeiten, die die Menschen mit Behinderung verrichteten, dienten mehr der Beschäftigung als der Produktion von wertvollen Produkten. Die Arbeiten gelangten kaum in den freien Verkauf. Heute ist das anders.
Die Saale-Werkstätten stellen in 13 verschiedenen Arbeitsbereichen hochwertige Produkte her. Unter der Anleitung von nicht-behinderten Vorarbeitern können so etwa Möbel oder Elektrogeräte zusammengebaut werden. Zwar stehen in den Werkstätten auch einige große Maschinen, aber der größte Arbeitsanteil besteht aus Handarbeit. Die Lebenshilfe betreibt außerdem eine Wäscherei, einen Hofladen und ein Café. Bald kommt eine eigene Brauerei hinzu.
Lebenshilfe Halle: Eine sinnvolle Tätigkeit
Die Freude, die Martina Staude zu Weihnachten 2001 bei den Menschen mit Behinderung gespürt hat, ist bis heute nicht verflogen. „Ich habe noch nie erlebt, dass Menschen traurig sind, wenn das Wochenende beginnt und sie nicht mehr arbeiten müssen. Außer in unseren Werkstätten“, sagt Staude. Eine sinnvolle Tätigkeit ausüben zu können, sei für Menschen, denen die Gesellschaft lange Zeit nichts zugetraut hätte, die größte Erfüllung.
Den Gewinn, den die Behinderten erwirtschaften, dürfen sie zu 70 Prozent behalten. Der Rest geht an den Verein, der die Verwaltung bezahlt und in Gebäude investiert. Dabei wäre der Ausbau der Werkstätten am Böllberger Weg vor einigen Jahren fast gescheitert. Schuld war ein großer alter Kastanienbaum, der auf dem Grundstück stand, das überbaut werden sollte.
Trotz aller Versuche, eine Fällgenehmigung zu erhalten, durften die Bauarbeiter den Baum nicht anrühren. Kurz bevor das Projekt zu kippen drohte, ermöglichte die Stadtverwaltung es, das Baugrundstück auf der anderen Seite um einige Meter zu vergrößern, sodass der Neubau errichtet werden konnte und die Kastanie stehenblieb. Bis heute spendet sie zum Dank dafür Schatten auf dem Hof, wenn es im Sommer zu heiß ist. (mz)