Terror in Halle Terror in Halle: Täter verschwand auf Flucht "rund eine Stunde" vom Radar der Polizei

Magdeburg/Halle (Saale) - Fünf Tage nach dem Angriff auf die hallesche Synagoge und der Tötung zweier Menschen durch einen Rechtsextremisten hat Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) erstmals lückenlos über den Polizeieinsatz informiert.
Das Minutenprotokoll zeigt, dass es dem bereits angeschossenen Stephan B. gelang, die Polizei abzuschütteln und 57 Minuten unerkannt zu fliehen. Erst zwei Streifenpolizisten des Revierkommissariats Zeitz konnten den 27-Jährigen in Werschen (Burgenlandkreis) stellen.
12.16 Uhr verlor die Polizei Stephan B. aus den Augen
Am Tag der Tat waren in Halle zwei Funkstreifenwagen fünf beziehungsweise sechs Minuten nach der Alarmierung der Polizei am Tatort. Um 12.16 Uhr sichteten die Beamten den Mann zum vorerst letzten Mal. Da war er bereits durch einen Schuss am Hals verletzt, konnte aber trotz eines plattgeschossenen Reifens mit seinem Wagen entkommen.
Von Fehlern in der Polizeiarbeit will das Innenministerium dennoch nicht sprechen. Dass ein Fluchtfahrzeug in einer Großstadt außer Sicht gerate, „würde ich nicht als Panne bewerten“, sagte Christiane Bergmann, Abteilungsleiterin für Polizei.
Das Spezialeinsatzkommando (SEK) traf laut Ministerium eine Stunde nach dem Notruf in Halle ein. Auch zwei Polizeihubschrauber konnten den flüchtenden Rechtsextremisten nicht stellen. „Zum Konzept der Landespolizei gehört, dass jeder Funkstreifenwagen in so einer Lage selbst handeln kann und nicht auf das SEK warten muss“, sagte Innen-Staatssekretärin Tamara Zieschang (CDU) bei der Pressekonferenz.
Innenausschuss beschäftigt sich mit Anschlag von Halle
Am Montagvormittag hatte der Terroranschlag von Halle den Innenausschuss des Landtags beschäftigt. Die Abgeordneten übten nach der dreistündigen Sitzung nur moderate Kritik. „Die Polizei hat sehr viel richtig und ganz wenig falsch gemacht“, sagte Innenexperte Rüdiger Erben von der Regierungspartei SPD. Die Flucht des Täters erklärte er mit der „Hitze des Gefechts“.
Harte Kritik kam von den Jusos, der Nachwuchsorganisation der SPD. Deren Landesverband forderte gemeinsam mit Nachwuchspolitikern von Grünen und Linken den Rücktritt von Stahlknecht. Wer nicht in der Lage sei, die Bürger vor rechtem Terror zu schützen, müsse die Konsequenzen ziehen, heißt es in einer Erklärung.
War die Polizei mit der Menge der Notrufe überfordert?
Zu den Problemen der Polizei gehört, dass das Lage- und Führungszentrum der Polizei mit der Vielzahl der Notrufe überfordert war. „Nicht alle wurden beantwortet, einige wurden abgebrochen“, berichtete der Grünen-Politiker Sebastian Striegel nach der Ausschusssitzung.
Die linke Opposition sieht noch Klärungsbedarf zur Frage, warum der Täter nicht fluchtunfähig gemacht werden konnte. AfD-Fraktionschef Oliver Kirchner nannte es „schändlich“, dass das Innenministerium die Synagoge erst nach dem Tod zweier Menschen besser schütze. An elf jüdischen Einrichtungen und drei Moscheen stehen Polizisten seit dem Anschlag rund um die Uhr Wache.
Streit zwischen Stahlknecht und jüdischer Gemeinde
Am Sonntag hatte der Zentralrat der Juden in Deutschland den Vorwurf erhoben, die hallesche Gemeinde habe besseren Schutz erbeten, aber nicht erhalten. „Aus den mir vorgelegten Unterlagen stellt es sich anders dar“, sagte Stahlknecht.
Er wolle sich möglichst noch in dieser Woche mit dem Synagogenvorstand treffen, um die sich widersprechenden Aussagen aufzuklären. Der Anschlag von Halle verändere alles. „Das ist eine Zäsur nicht nur für Sachsen-Anhalt, sondern auch für die Bundesrepublik Deutschland“, sagte Stahlknecht. Er selbst will mit einem Zehn-Punkte-Plan für mehr Sicherheit reagieren. (mz)