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Straßenverkehr in Halle Straßenverkehr in Halle: Alles Rot oder was?

Von Peter Godazgar 26.11.2015, 16:32
Schon wieder rot? Ruhig bleiben, es wird auch wieder grün.
Schon wieder rot? Ruhig bleiben, es wird auch wieder grün. Günter Bauer Lizenz

Halle (Saale) - Der Mensch und die Ampel - bei Facebook würde man dieser Verbindung vermutlich den Beziehungsstatus „Es ist kompliziert“ geben. Denn es ist ja leider so: Jeder von uns verbringt jeden Tag wertvolle Lebenszeit vor roten Lichtern. Und je länger sich die Sekunden vor der Ampel dehnen, umso sinnloser erscheint das alles, umso dümmer die Ampelschaltung - und umso drängender wird die Frage: Wann schaltet dieses Ding denn endlich mal um auf Grün?

Was man sich in diesen Momenten nur selten klarmacht: Während ich mich über Rot ärgere, freuen sich andere über Grün.

„Ja, die Sache ist komplex“, sagt Jürgen Gerstenberg. Der 64-Jährige ist „Teamleiter Verkehrstechnik“ bei Halles Stadtverwaltung, sein Büro liegt am Ende eines langen Ganges im siebten Stock des Verwaltungsgebäudes am Neustädter Stadion. Mit am Tisch sitzt Marit Otto, ihres Zeichens „Sachbearbeiterin Lichtzeichenanlagen“ und verantwortlich für neue Projekte. Die beiden sollen uns das mal erklären. Dieses Ding mit den roten Ampeln.

Gerstenberg und Otto kennen jede Ampel in der Stadt, vor allem wissen sie, warum sie so und nicht anders geschaltet sind. Wie viele Ampeln es sind, können sie übrigens nicht aus dem Stegreif sagen. „Viele“, sagt Frau Otto und schmunzelt. Ampel, das ist ja überhaupt ein Wort, das nur der Normalbürger in den Mund nimmt. Es handelt sich nämlich um Lichtsignalanlagen.

Gerstenberg und Otto haben dafür eine viel wichtigere Zahl parat: 153.

153, so viele „Knotenpunkte“ gibt es im Stadtgebiet. Knotenpunkte sind das, was der Normalbürger Ampelkreuzung nennt.

1990, kurz nach der Wende, gab es: 37 Knotenpunkte!

Zu Wende-Zeiten gab es ganze zehn Zebrastreifen in der Stadt, heute sind es mehr als 60.

Vergleichsweise wenig Ampeln

Die Zahlen zeigen: Da hat sich einiges verändert. Natürlich auch das sogenannte Verkehrsaufkommen. Schaue man sich Fotos von vor der Wende an, dann seien da drei, vier Autos auf der Magistrale zu sehen, sagt Jürgen Gerstenberg.

Eine Vervierfachung der Ampelkreuzungen seit der Wende - kein Wunder, dass wir so oft Rot sehen. Zumal es allein an einem Knotenpunkt wie der Kreuzung von Magistrale und Feuerwache rund 30 einzelne Lichtsignalanlagen gibt.

30 Ampeln? An einer Kreuzung? Gerstenberg nickt. Es sagte es ja schon: Es ist komplex.

Dabei habe Halle, fügt Gerstenberg gleich hinzu, „vergleichsweise wenig Ampeln“ - verglichen mit anderen Städten dieser Größe.

Überhaupt sind Ampeln ja nichts Schlechtes. Im Gegenteil: „Ampeln erzeugen Sicherheit.“ Paradebeispiel ist der Riebeckplatz: Dort ereignete sich vor dem Umbau durchschnittlich ein Unfall pro Tag! Seitdem dort Ampeln den Verkehr regeln, sank die Zahl der Unfälle um weit mehr als die Hälfte.

90 Sekunden Geduldsspiel

Bekommt er denn oft Beschwerden über schlechte Ampelschaltungen? Oder Hinweise? Oder Vorschläge, wie es besser gehen würde? Gerstenberg lächelt fein. „Quasi täglich.“ Ampel-Experten gibt es in Deutschland so viele wie Bundestrainer. Das Problem: „Man kann nicht aus nur einer Perspektive den Zusammenhang eines Knotenpunkts überblicken.“

Und Knotenpunkt ist ja nicht gleich Knotenpunkt. Fährt man die Magistrale von Neustadt in Richtung Zentrum, dann passiert man fast jede erdenkliche Kreuzungsvariante: Die klassische Großkreuzung, die „T-Einmündung“, Fußgängerampeln, die Vorrangschaltungen für die Bahnen.

Ach ja, es gibt ja nicht nur Autofahrer. Es gibt Fußgänger und es gibt Radfahrer. Und es gibt den ÖPNV, die Busse und Straßenbahnen also.

Es sind also auch nicht nur die Autofahrer, die ungern vor Ampeln stehen - niemand wartet gern. Fußgänger, zitiert Marit Otto Untersuchungen, werden nach maximal 90 Sekunden so ungeduldig, dass sie das Rotlicht ignorieren und bei der ersten Lücke im Verkehr über die Straße rennen.

Zudem besitzt der Mensch die erstaunliche Fähigkeit, seine Rolle zu wechseln: Sitzt er im Auto, ärgert er sich über die von städtischer Seite klar gewünschte Vorzugsbehandlung der Tram. Steht er als Fußgänger vor der Ampel, ärgert er sich über die viel zu kurze Grünphase.

Jürgen Gerstenberg sagt: „Wir suchen für jeden Verkehrsteilnehmer den besten Kompromiss.“ Kompromiss, ja, es geht immer um einen Kompromiss. Denn der Platz, er ist ja nun mal begrenzt.

Lesen Sie auf Seite zwei weiter, was es mit der Ampel-Bibel auf sich hat und welches ausgeklügelte System den Verkehr regelt.

RiLSA - die Ampel-Bibel

Und das Unwissen ist bisweilen groß. Über zu kurze Grünphasen klagen nämlich vor allem Fußgänger, weiß Gerstenberg. Sie werden nervös, wenn die Ampel für sie schon auf Rot schaltet, wenn sie erst die Mitte der Kreuzung erreicht haben. Ein Dilemma, denn wollte man den Wunsch erfüllen, so würden sich die einzelnen Phasen um ein Mehrfaches verlängern. Darum gibt es ja die „Zwischen- und Schutzzeiten“. Sie garantieren ausreichend Zeit, auch wenn die Ampel auf halber Strecke rot wird.

Das ist natürlich geregelt, streng geregelt, und zwar in den Richtlinien für Lichtsignalanlagen, kurz RiLSA. Das ist ein bundesweit gültiges und bindendes Werk für die Planung und den Betrieb von Ampelanlagen. Es gibt Hinweise zur „Signalprogrammstruktur“ und zur „Berechnung der Freigabezeiten“, zum „Zeitvorsprung an der Konfliktfläche“ und zu „partiellen ÖPNV-Fahrstreifen in Knotenpunktzufahrten“.

„Unsere Bibel“, sagt Marit Otto schmunzelnd.

Leitzentrale is watching you!

Mit dem Aufzug geht es von Gerstenbergs Büro runter ins Erdgeschoss. Dort befindet sich die Verkehrsleitzentrale. Na ja, Leitzentrale, das klingt pompöser als es ist: Gerstenberg und Otto führen in einen nüchterner Raum mit ein paar Monitoren. Hier arbeiten Katrin Hädicke und Maik Hoffmann. Von hier aus können sie in Echtzeit die Ampeln an jeder einzelnen Kreuzung in den Blick nehmen - außerdem überwachen sie die Rechner für sämtliche städtischen Parkscheinautomaten und auch jene für die Verkehrsdetektoren sowie für das Parkleitsystem.

Freilich läuft das meiste automatisiert; der Verkehr wird ständig über Induktionsschleifen und Kameras erfasst. Die Schaltungen reagieren auch auf veränderte Verkehrsströme. Klar ist aber auch: Wenn die Straßen verstopft sind oder wenn es einen Unfall gegeben hat, hilft auch das ausgeklügeltste System nicht mehr.

Überhaupt ist der Wunsch nach ständig flüssigem Verkehr immer auch ein bisschen naiv. „Staus sind etwas Natürliches“, sagt der Physiker und Stauforscher Michael Schreckenberg. Es gebe sie auch im Tierreich. Gänzlich vermeiden können wird man sie ab einer bestimmten Zahl von Verkehrsteilnehmern nie.

Manchmal fragt sich Jürgen Gerstenberg: „Fahren die Leute denn noch auch mal durch andere Städte?“ Er selbst war neulich in Leipzig. Was er da vor roten Ampeln gestanden hat!

Und in Halle? Hand aufs Herz, Herr Gerstenberg: Trommeln Sie manchmal ungeduldig aufs Lenkrad, wenn die Ampel nicht grün wird? „Nö“, sagt Gerstenberg. „Ich weiß ja, dass es nicht anders geht.“ (mz)

Rot, gelb, grün: Maik Hoffmann kann in der Verkehrsleitzentrale in Echtzeit die Situation an jeder Ampelkreuzung aufrufen.
Rot, gelb, grün: Maik Hoffmann kann in der Verkehrsleitzentrale in Echtzeit die Situation an jeder Ampelkreuzung aufrufen.
Günter Bauer Lizenz