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Stadtteil Granau Stadtteil Granau: Das Dorf zum Verlieben in der Neustadt

Von Oliver Müller-Lorey 16.05.2017, 04:00
Kutscher Uwe Ulrich zeigt „sein“ Granau vom Kutschbock aus.
Kutscher Uwe Ulrich zeigt „sein“ Granau vom Kutschbock aus. Andreas Stedtler

Granau - Wär’ Halle ein Pferdestall, wäre Kröllwitz der edelste Rappe, das Paulusviertel die quirligste Stute und Granau - tja Granau der unscheinbare Kaltblüter, den man leicht übersieht. Aber wird man erst warm mit ihm, ist es ein Pferd fürs Leben, mit dem man durch dick und dünn geht.

Das kleine Stadtquartier im Nordwesten von Halle liegt im Grünen. Es gehört zur Westlichen Neustadt - sein Erscheinungsbild will aber so gar nicht zu den typischen  Plattenbauten und Asphaltstraßen passen.

So schnulzig würde Uwe Ulrich sein Stadtquartier selbst nie beschreiben. Er würde sagen, er ist gerne hier. Zum Schlafen geht er zwar fünf Minuten rüber nach Neustadt, aber den Tag, den verbringt er am liebsten in seinem Granau. Seinem unterschätzten Granau, von dem viele gar nicht wissen, wo es überhaupt liegt.

Granau lernt man am besten bei einer Kutschfahrt kennen

Entweder kommt man von Nietleben rein, immer Richtung Eisleben. Oder man biegt auf der B80 die letzte Kreuzung vorm Saalekreis rechts ab. Doch Vorsicht! Granau ist klein. Und wer nicht aufpasst, ist schneller wieder raus als er es merkt.

Wer Granau richtig kennenlernen will, der trifft sich deshalb am besten mit Uwe Ulrich. Der ist Kutscher und bietet eine ganz besondere „Dorfrundfahrt“ mit nur zwei PS an. Die Kutsche ist so langsam, dass man selbst im kleinen Granau länger als eine Stunde unterwegs sein kann und immer noch etwas Neues sieht.

Granau - Mal zu Nietleben, mal zu Halle-Neustadt gezählt

Und wo geht’s los? „Naja, es gibt eigentlich keine so konkreten Grenzen“, sagt Ulrich vom Kutschbock aus. Granau sei immer wieder „hin- und hergeschaukelt“, worden. Mal zu Nietleben, mal zu Neustadt gezählt. Viele Granauer bezeichnen sich selbst lieber als Nietlebener und irgendwie sind sie es ja auch - ach das ist alles schwierig.

Aber wozu die Verwaltung sie zählt, ist den meisten Granauern sowieso egal. Sie sind eher Macher. Macher im Garten, Macher auf der Weide, Macher im Eigenheim. Wen kümmert es, welche Adresse auf dem Ausweis steht? Mit ihrem Wohnort geben die Granauer jedenfalls nicht an, obwohl sie allen Grund dazu hätten. Das Viertel ist traumhaft, aber nicht schick.

Gut Granau mit dem „Taubenturm“ ist das Herz des Ortes

Die Kutschfahrt beginnt also auf der Eislebener Straße, der zweifellos wichtigsten Straße in Granau. Im Norden davon liegt der Heidesee, im Süden stehen die Granauer Häuser. Da ist allen voran das Gut Granau, erst Bauernhof, dann LPG, jetzt Denkmal und schon halb Ruine. Das Gut mit seinem markanten „Taubenturm“, in dem das Geflügel zu Nahrungszwecken gehalten wurde, ist das Herz des Ortes. Die meisten, die mit dem Auto und nicht mit der Kutsche daran vorbeifahren, übersehen es.

3,5 Stunden betrug die Fahrzeit mit der Postkutsche im Jahr 1787 von Halle über Nietleben und Granau nach Eisleben laut Postkutschenverzeichnis. Außerdem muss sie ziemlich holprig gewesen sein. Heute dauert die „Reise“ mit dem Auto nur noch knapp 40 Minuten. Mit der Kutsche kann man natürlich trotzdem noch fahren - aber bitte nicht über die B 80. Der Verkehr hat sich seit 1787 ein wenig verändert.

„Und dort wohnt Herr Naumann!“ Der Kutscher deutet auf ein altes Haus an der Hauptstraße. „Der Mann ist 78 und bestellt seinen Acker mit einer dermaßen großen Euphorie. Das ist Wahnsinn“, schwärmt Ulrich. „Es gibt nur noch wenige, die das schaffen. Er geht auch weniger einkaufen als wir es tun. Hat ja auch Karnickel und Schweine. Der ist richtig alteingesessen!“

Steingewordene Familienglück in Granau: Neubauhäuser auf dem „Schuldenhügel“

Naumanns frisch gepflügter Acker, es ist mehr ein Äckerchen, ist gleichermaßen Grenze zwischen dem alten und dem neuen Granau. Denn historischer Gutshof und alte Bauernhäuser sind nur ein Teil des Quartiers. „Da, diese Häuser wurden alle vor etwa fünf Jahren gebaut.“ Der Kutscher bremst seine Pferde am Fuße eines Hügels mit vielen bunten Häusern. Sie sehen aus wie das steingewordene Familienglück.

„Draußen im Grünen und trotzdem schnell in der Stadt“ könnte im Katalog der Baufirma gestanden haben. Wobei die Nähe zur Stadt Auslegungssache wäre.

„Das ist der Schuldenhügel“, sagt Ulrich. Dieser neue Teil Granaus werde scherzhaft so genannt, weil die Häuser wohl noch abbezahlt werden.

Neu- und Alteingesessene: Granau ist noch nicht richtig zsammengewachsen

Die beiden Teile Granaus sind noch nicht richtig zusammengewachsen, findet der 47-Jährige. „Im Großen und Ganzen gibt es keine Probleme, aber Straßenfeste oder sowas gibt es noch nicht.“

Ulrich hofft, dass das noch kommt. Dreh- und Angelpunkt für solche Feste, bei denen sich die Alt- und Neu-Granauer endlich besser kennenlernen würden, könnte das Heidebad sein, findet er. Schon jetzt gehen viele Granauer dort nicht nur zum Schwimmen hin, sondern auch um ein Schwätzchen bei Kaffee, Kuchen oder einem Würstchen zu halten. „Es gab im Heidebad schon früher Stammtische. Das ist so etwas wie ein Kneipenersatz“, sagt Ulrich. „Die Laden- und Unternehmerdichte ist ja auch recht dünn.“

Granau ist ein Viertel zum Verlieben

Die Granauer dürfte das nicht weiter stören. Man kommt nicht zum Einkaufen hierher, sondern zum Wohnen. Uwe Ulrich geht davon aus, dass Granau weiter wachsen wird. „Wir werden expandieren, auch wenn das kein billiges Pflaster ist.“ Die Bus-Anbindung sei hervorragend, auch zur Bimmel, Straßenbahnhaltestelle Soltauer Straße, sind es nur ein paar Minuten.

Die verkehrsgünstige Lage in der Nähe der B 80 bringt aber auch Nachteile. Eine Schallschutzwand wäre nicht verkehrt. „Gerade am Bennstedter Berg wird ordentlich aufs Gas gedrückt“, sagt Ulrich. Die vierspurige B 80 nach Eisleben war natürlich nicht von Anfang an da. Früher rollte der Verkehr gen Westen über die heutige Eislebener Straße. Auch heute noch kann man mit der Kutsche dem Weg folgen.

Es ist ein schlecht ausgebauter und enger einspuriger Weg, der landschaftlich aber einiges zu bieten hat: Rechts geht der Blick in Richtung Lieskauer Hügel. In welchem Stadtteil geht das noch: in zwei Minuten aus den Schatten der Neustädter Wohntürme mit der Kutsche aufs Land fahren?

Am Ende der alten B 80 dreht Ulrich um. Hier ist Granau vorbei. Die Kutsche wird er in die Scheune eines Nachbarn stellen und die Pferde auf die Koppel, die auch in Granau liegt. Unscheinbar ist das Quartier nur auf den ersten Blick. Nach einer Stunde hier kann man sich verlieben. (mz)