1. MZ.de
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Halle
  6. >
  7. Stadtteil Gottfried-Keller-Siedlung: Stadtteil Gottfried-Keller-Siedlung: Zwischen Landebahn und Bungalows

Stadtteil Gottfried-Keller-Siedlung Stadtteil Gottfried-Keller-Siedlung: Zwischen Landebahn und Bungalows

Von Oliver Müller-Lorey 06.03.2018, 06:00
Wenn es in der Familie von Franz Niedack etwas zu Feiern gibt, geht’s in den Kleingarten. Davon gibt es in der Gottfried-Keller-Straße so einige.
Wenn es in der Familie von Franz Niedack etwas zu Feiern gibt, geht’s in den Kleingarten. Davon gibt es in der Gottfried-Keller-Straße so einige. Lutz Winkler

Halle (Saale) - Was genau ist eigentlich „Abendfrieden“? Irgendjemand muss sich dieses Wort ausgedacht haben, als er vor vielen Jahrzehnten die Kleingartenanlage am östlichen Ende der Gottfried-Keller-Straße danach benannte. „Kleingartenanlage Abendfrieden“. Das ist Idylle pur, obwohl die Hobbygärtner von ihren Parzellen aus auf die vergitterten Fenster der „Justizvollzugsanstalt Halle - Außenstelle Frohe Zukunft“, sehen können.

Halle hat mehr als 60 Stadtteile, Viertel und Stadtquartiere. Wir stellen alle vor: hier „Gottfried-Keller-Siedlung“

Dort ist von Abendfrieden nichts zu spüren. Die Justizvollzugsanstalt liegt direkt neben der Gartenanlage am östlichen Ende der Gottfried-Keller-Siedlung. Sie nennt in der Siedlung natürlich kein Mensch so. Und außerdem ist der „Knast“ im Nachbarbezirk, der Frohen Zukunft.

Rund um die Gottfried-Keller-Straße ist es friedlich

Rund um die Gottfried-Keller-Straße ist es hingegen friedlich - nicht nur abends. Und schön ist es, findet Franz Niedack, der in einigen Wochen 84 Jahre alt wird, aber viel jünger wirkt. An einem März-Nachmittag sitzt der Rentner in seiner Lieblings-Kneipe, der „Gaststätte am Küttener Weg. Von seinem Haus im Bergschenkenweg, in dem er seit 1991 mit seiner Frau wohnt, sind es nur ein paar hundert Meter bis dorthin.

Über die Gottfried-Keller-Straße, die im Norden des Viertels verläuft und ihm seinen Namen gab, rein in eine weitere Kleingartenanlage und vorbei an einem Dutzend Parzellen. Dann sitzt Niedack bei Sylvia Franke, der Wirtin. Immer mittwochs ist Stammtisch, außer jemand kann nicht, dann wird der Termin auch schonmal verschoben.

Gottfried-Keller-Siedlung: Viele Kleingärten

„Ja, Kleingärten haben wir hier so einige“, sagt Niedack. Vielleicht ist es sogar das Quartier mit der höchsten Kleingärten-Dichte. Der Rentner besaß nie einen eigenen in der Siedlung. „Bis vor ein paar Jahren hatten wir einen Garten in Salzmünde“, sagt er. Aber man werde ja nicht jünger. Dafür ist der ehemalige NVA-Offizier Vorstand eines Garagenvereins in der Siedlung. Auch davon gibt es hier so einige. „Die Garagen wurden in den 80er Jahren gebaut. Ich habe sofort eine gekauft und da ich eine juristische Ausbildung habe, macht sich das mit dem Vorstand ganz gut“, sagt Niedack.

Die Häuser in der Gottfried-Keller-Siedlung wurden hingegen nicht alle zur selben Zeit gebaut. Im westlichen Teil dominieren Bungalows aus den 70er Jahren. Im östlichen Teil in Richtung Gefängnis herrschen Einzel- und Doppelhäuser mit Spitzdach vor. „Sie wurden in den 30er Jahren für die Beschäftigten der Siebel Flugzeugwerke in der Frohen Zukunft gebaut“, sagt Niedack. Während die verbliebenen Siebel-Ruinen vor sich hinrotten haben manche Bewohner der Siedlung ihre Häuser modern und teilweise sogar luxuriös ausgebaut.

Gottfried-Keller-Siedlung: Ein großer Teil der Bewohner sind noch Erstbezieher

In weiten Teilen des Viertels gilt Tempo 30, was vor allem den Familien mit Kindern gefällt. „Ein großer Teil der Bewohner der Flachbauten sind noch Erstbezieher, aber es kommen mehr und mehr neue Familien dazu“, sagt der Rentner. Sogar einige Prominente wohnen hier: Fußball-Legende Klaus Urbanczyk zum Beispiel oder bekannte Ärzte der Stadt. Niemand weiß so richtig warum, aber auch viele Polizisten wohnen in der Gottfried-Keller-Siedlung. Sie sieht man ab und zu „bei Sylvi“ in der Gaststätte.

Das es das Lokal noch gibt, ist keine Selbstverständlichkeit. Das Viertel würde sich verändern, sagt Niedack. Da sei zum Beispiel das Kneipensterben. Früher hatte jede Gartenanlage ihre eigene Gaststätte. Heute ist außer Niedacks Lieblingslokalität, in der auch Geburtstage und andere Familienfeiern stattfinden, nicht mehr viel übrig von dem einst üppigen Angebot. Dafür müssen Schüler und Erwachsene nicht mehr zu Fuß oder mit dem Auto in die Schule oder zum Einkaufen in die Stadt, so wie früher. Buslinie 25 verbindet die Gottfried-Keller-Siedlung mit Tornau, Seeben und der Straßenbahn.

Start- und Landebahn für die Siebel-Flugzeuge

Andere Veränderungen liegen soweit zurück, dass selbst Niedack sie nicht miterlebt hat. Die wohl auffälligste: „Neben der damals unbebauten Gottfried-Keller-Straße befand sich früher eine Start- und Landebahn für die Siebel-Flugzeuge.“ Zwar sei nicht jeden Tag eines gestartet oder gelandet, aber ab und zu hoben Piloten schon aus der Gottfried-Keller-Siedlung ab, erzählt man sich. Die Startbahn wurde vor Jahrzehnten mit Häusern überbaut. Unter ihr verläuft übrigens eine der Haupt-Trinkwasserleitungen, die Halle mit Wasser aus der Rappbodetalsperre im Harz versorgt.

Vor dem Fenster legt sich langsam die Dunkelheit über die unzähligen Kleingärten der Siedlung. „Im Sommer wäre hier jetzt richtig was los. Grillen, Gartenfeste, Flohmarkt“, sagt Niedack. Doch jetzt ist es erst einmal ruhig und friedlich am Rande der Gottfried-Keller-Siedlung.

Das muss der Abendfrieden sein.