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Stadtmission in Halle Stadtmission in Halle: Mehr Miteinander wagen

25.05.2013, 18:38
„Wir fördern die Selbstständigkeit Behinderter“, so Ernst-Christoph Römer, Vorstand der Stadtmission.
„Wir fördern die Selbstständigkeit Behinderter“, so Ernst-Christoph Römer, Vorstand der Stadtmission. Toni Embacher Lizenz

HALLE/MZ - 1888, also vor 125 Jahren, war das Leben in Halle von Armut, Krankheit und sozialen Problemen geprägt. Um in der wachsenden Not zu helfen, rief der damalige evangelische Superintendent zur Gründung der Stadtmission auf. Am Sonntag wird diese Gründung mit einem Festgottesdienst um 10 Uhr in der Marktkirche und einem anschließenden Kreisdiakonietag mit Bühnenprogramm auf dem Markt gefeiert. Über Vergangenheit und Zukunft der Stadtmission hat MZ-Mitarbeiterin Silvia Zöller mit Ernst-Christoph Römer, Vorstandsvorsitzender der Stadtmission, gesprochen.

Ausgangspunkt und erstes Anliegen der Stadtmission war 1888 die Arbeit mit Alkoholkranken. Was sind daneben die Aufgaben von morgen?

Römer: Das ist vor allem die Inklusion Behinderter und neue, offene Wohnformen für sie zu finden. Außerdem müssen wir uns mit der Frage beschäftigen, wie wir mit der ersten Generation altgewordener Menschen mit Behinderung umgehen. Denn durch die Euthanasie-Gesetze der Nazizeit ist eine ganze Generation ausgelöscht worden.

Und welches sind die Lösungen der Stadtmission hierfür?

Römer: Wir haben schon jetzt ein Wohnprojekt in Neustadt, wo geistig Behinderte in 22 Wohnungen eines Hauses vollständig auf sich selbst gestellt leben, es aber Betreuer vor Ort in einer Dienstwohnung gibt. Dort ist auch ein Wohnzimmer, wo man sich treffen kann: Damit wollen wir einer Vereinsamung entgegengehen. Zurzeit suchen wir weitere Wohnungen in der Stadt für junge Behinderte, die jetzt in Johannashall im Saalekreis untergebracht sind. Auch sie sollen am urbanen Leben teilnehmen können und in ihrer Selbstständigkeit gefördert werden. In Johannashall könnten dann die Strukturen so verändert werden, dass sie für Altwerdende geeignet sind.

Rund 370 geistig, psychisch und körperlich Behinderte arbeiten zurzeit in den Werkstätten der Stadtmission. Wäre es nicht besser, sie in ganz normale Betriebe integrieren zu können?

Römer: Ich frage mich vielmehr, warum wir unsere Werkstätten nicht für alle öffnen dürfen. Normale Strukturen entwickeln, das ist die Aufgabe der Inklusion. Und hier in unseren Werkstätten ist die notwendige sozialpädagogische Begleitung und die hohe Akzeptanz der Betroffenen.

Was sind Ihre Wünsche für die Zukunft?

Römer: Dass sich auch die Kirchgemeinden für die Inklusion öffnen und dass auch Menschen mit Behinderung dort eine Heimat haben. Seit Gründung der Stadtmission gab es Dissonanzen zwischen der Stadtmission und den Gemeinden, weil jeder glaubte, der andere nehme ihm etwas weg. Wichtig ist es, eine gemeinsame Arbeitsebene zu finden und die gegenseitige Toleranz für eine gemeinsame Arbeit weiterzuentwickeln.

Bei einem Jubiläum schaut man auch gerne zurück in die Vergangenheit. Gibt es eine Festschrift?

Römer: Am Sonntag beim Kreisdiakonietag werden wir das druckfrische Buch „Der Stadt Bestes ... Geschichte und Geschichten der Evangelischen Stadtmission Halle“ vorstellen, das jetzt im Hasenverlag erschienen ist. Der Journalist Thomas Jeschner hat darin die Geschichte der Stadtmission in einer fiktiven Familiengeschichte erzählt. Bei einer Lesung um 14.40 Uhr auf dem Marktplatz wird das Buch mit zahlreichen historischen Fotos zum ersten Mal öffentlich vorgestellt.