Sportkarriere Sportkarriere: Kreuzbandriss - Wie geht es weiter für Halles Turnerin Kim Janas?

Halle (Saale) - Das Knacken im Knie war der Anfang vom Ende. Einem schmerzhaften, wie Kim Janas zugibt. Und doch wirkt die 17-jährige Hallenserin irgendwie auch erleichtert. Denn mit dem neuerlichen Schmerz sind die Fronten geklärt. Nun muss sie nicht mehr darüber grübeln, was aus ihrer Turnkarriere wird.
Gleich nach dem erneuten Fehltritt beim Abgang vom Stufenbarren hat sie gewusst: Das war’s. „Ich selbst habe das für mich so festgelegt“, sagt das zierliche Persönchen mit erstaunlich fester Stimme. „Ich habe die Entscheidung getroffen, dem Turnen und mir eine Auszeit zu geben. Die Gesundheit hat nun Vorrang.“
Beim Weltcup vor gut drei Wochen in Cottbus hatte sie während der Landung wieder den stechenden Schmerz im rechten Knie gespürt. Als die Schwellung zurückgegangen war, bestätigten die Ärzte Janas’ Befürchtungen: Teilruptur des vorderen rechten Kreuzbandes. Was die Sache eigentlich so schlimm macht: Es ist nun schon das dritte Mal, dass die Bänder in ihren Knie-Gelenken gerissen sind. Nach jeweils einer Operation links und rechts sowie einer weiteren am Ellbogen will sie jetzt nicht noch einmal unters Messer. Die Schmerzgrenze ist erreicht.
Turnierin Kim Janas: Mit 14 Jahren nach Stuttgart
Was für eine Tragik. Tragisch in erster Linie natürlich für Kim Janas. Dabei ist ihr Einzelschicksal ein Beispiel von vielen. Es zeigt, wie schmal der Grat ist, auf dem deutsche Spitzensportler wandern.
Kim Janas hat auch alles auf eine Karte gesetzt. Mit gerade einmal 14 ist sie im April 2014 für ihren großen Traum nach Stuttgart gewechselt. Weg von Halle, wo „Turnen weiblich“ keine Schwerpunktsportart ist und deshalb finanziell nicht so gefördert wird wie beispielsweise Leichtathletik, Rudern oder Schwimmen. Dorthin, wo die Besten aus ganz Deutschland sich gemeinsam auf die großen internationalen Meisterschaften vorbereiten.
Dafür hat sie ihre Familie zurückgelassen, Freunde, das vertraute Umfeld. „Turnen ist mein Leben“, hat sie immer wieder gesagt. Das wollte sie auch im Zeichen der Ringe. Olympia hatte auf sie schon als Turnfloh eine magische Wirkung.
Die Hoffnung, sich diesen Traum in der Fremde erfüllen zu können, schien nicht unbegründet. Auch im Verband traute man dem sowohl schwierig als auch sehr elegant turnenden kleinen Mädchen Großes zu. Als das hoffnungsvollste Talent seit Fabian Hambüchen war die Tochter einer deutschen Turn-Übungsleiterin und eines vietnamesischen Kampfsportlers gehandelt worden.
13 von 15 möglichen Meistertiteln hatte sie im Schülerbereich erkämpft. Dazu kamen Medaillen bei den Europäischen Jugendspielen und den Jugend-Europameisterschaften. Das alles waren gute Argumente, um Kim Janas nicht nur zu fordern, sondern auch zu fördern. Einen Großteil der Kosten für den Internatsplatz in Stuttgart übernahm eine Sportstiftung. Alles sollte perfekt sein.
30 Stunden Training in der Woche: Janas über Belastungen im Spitzenturnen
Und sie sollte alle Zeit der Welt haben, sich zu entwickeln. Niemand machte dem Nesthäkchen Druck. Obgleich sie schon bei ihrem Wechsel ihren ersten Kreuzbandriss auskurierte. Den Druck machte sich Kim Janas offenbar selbst. „Ich habe ein gutes Körpergefühl“, sagt sie über sich. Und dieses Fühlen bezieht sich auch auf den Kopf. „Ich habe versucht, das alles nicht so an mich ranzulassen.“ Doch das ist der sensiblen Sportlerin offenbar nicht gelungen. Der Kopf hat immer mit gearbeitet.
Auch der Rest des Körpers läuft - praktisch seit sie denken kann - auf Hochtouren. Die Belastungen im Spitzenturnen sind außergewöhnlich hoch. Von bis zu 30 Stunden Training in der Woche spricht Kim Janas. Zuviel ist ihr das dennoch nie geworden.
Dabei ist das Training nicht nur umfangreich, sondern auch hart. Härter, als man bei der Leichtigkeit der Übungen vermuten könnte. „Blaue Flecken, Prellungen, das gehört zum Training dazu“, bestätigt Kims Mutter Heike Janas.
Und doch ist sich die Hallenserin sicher: „Wenn man einmal geturnt hat, dann fängt man immer wieder damit an, dieser Sport lässt einen nicht los.“ Das, so glaubt sie, wird bei ihrer Tochter nicht anders sein. „Ihr Körper“, sagt die Mutter, „braucht jetzt zweifellos diese Ruhephase. Und der Kopf natürlich auch.“ Doch sie rechnet nur mit einer Auszeit, nicht mit dem endgültigen Aus.
Rückkehr nach Halle: Kim Janas will sich in der Heimat neue Ziele suchen
Heike Janas war es schwer gefallen, ihre Tochter damals Richtung Stuttgart ziehen zu lassen. Mit der Entscheidung jetzt, sagt sie, gehe es ihr ähnlich. Aber sie stehe hinter Kim, so oder so - wie übrigens auch der Rest der Familie. Zu versuchen, sie umzustimmen, wäre eh aussichtslos.
Kim Janas wirkt entschlossen. „Ich brauche diesen Cut“, sagt sie. Noch vor Weihnachten will sie ihr Zimmer in Stuttgart räumen. Der Umzug ist organisiert, der Schulwechsel beantragt. Kim Janas will weg, so schnell es geht. Obwohl - oder gerade weil - sie sich in Stuttgart wohlfühlt, es genau das Leben ist, wie sie sich es vorgestellt hat. „Stuttgart ist mein zweites Zuhause geworden, meine Freunde hier sind meine zweite Familie“, sagt sie und klingt nun doch sehr traurig. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.
Es ist zugleich aber auch die Chance, neu anzufangen. Wenn möglich an ihrer alten Sportschule. In ihrer alten Trainingsstätte. Dort gäbe es das Hintertürchen für den Weg zurück an die Spitze, auch wenn sie sich das jetzt gerade gar nicht vorstellen kann.
Für Kim Janas ist die Rückkehr in die Heimat also so etwas wie Plan B. Doch der ist kein Selbstläufer. Denn die Tür zu den Spezialeinrichtungen steht ihr nur dann offen, wenn sie einen „leistungssportlichen Auftrag“ hat, wie es im Fachjargon heißt. Konkret wäre das die WM-Teilnahme 2017 oder spätestens 2018. Ob das realistisch ist, vermag sie, vermag im Augenblick wohl keiner einzuschätzen.
Kein Einzelfall
Und genau da liegt das Problem, das im deutschen Sport gar nicht so selten ist: Jene Leistungssportler aufzufangen, die abrupt aufhören müssen. Dabei spielt es keine Rolle, ob nun die sportliche Qualität nicht mehr ausreicht oder die Gesundheit nicht mehr mitspielt. Vor allem für die, die schon dem Schulalter entwachsen sind, ist das eine große Herausforderung. Für all jene, die sich beruflich arrangiert haben, um ihre sportliche Leidenschaft voll ausleben zu können.
Die Rolle rückwärts zurück in das zivile Leben wird für sie alle zur Höchstschwierigkeit. Obgleich Vereine und Verbände versuchen, den Sportlern Hilfestellung zu geben.
Auch einer Top-Turnerin wie Kim Janas wird diese Rolle rückwärts alles abverlangen. Turnen werde immer „Teil meines Leben bleiben!“, schreibt sie auf Facebook. „Ich werde es NIE ganz aufgeben können und wollen, dafür habe ich diesen Sport zu sehr gelebt und geliebt.“ Vielleicht beginne sie eine Trainerkarriere oder mache vielleicht auch den Kampfrichterschein. „Wer weiß, wohin mich mein weiterer Weg führt!“
Und wenn doch erstmal nicht zurück an ihre alte Sportschule in Halle? „Dann werde ich das auch schaffen“, sagt die Zehntklässlerin selbstbewusst. Dann werde sie das Abitur eben an einer normalen Schule ablegen. Gitarre spielen, Tanzen - es gibt so vieles, was sie gerne machen möchte. Sie ist für vieles offen. Sie ist stark. Vor allem aber ist sie ja auch gerade erst 17 geworden.
Die Weichen für ihr Berufsleben sowie für ein Leben außerhalb des Sportbetriebs kann Kim Janas also noch stellen. Zumindest dieser Zug ist nicht abgefahren.
(mz)
