Spannender Vorschlag Spannender Vorschlag: Trägt altes Kaufhaus am Boulevard bald den Namen Emily?

Halle (Saale) - Viele Jahre wurden große Teile des historischen Kaufhauses in der Leipziger Straße 6 nicht genutzt - nun will es Investor Volker Gondrom mit Millionenaufwand sanieren. Und er sucht einen Namen für einen Neubau, der an der Rückseite entstehen soll. Dafür hat der Historiker Jürgen Hermann jetzt einen spannenden Vorschlag: Haus Emily.
Der 78-jährige Dresdner, der bis 2007 in Halle gelebt hat, kennt die Geschichte des Kaufhauses „Weddy-Pönicke“ sehr genau und will mit seinem Vorschlag an die frühere Inhaberin Emily Weddy-Pönicke erinnern. Ihre Lebensgeschichte ist mit einer atemberaubenden Liebesgeschichte verbunden, die wiederum mit dem halleschen Fußball zu tun hat.
Emily Weddy-Pönicke besuchte die Höhere Mädchenschule
„Emily Weddy-Pönicke besuchte die Höhere Mädchenschule der Franckeschen Stiftungen. Emily verliebte sich über beide Ohren in Oscar Fräßdorf aus Magdeburg, der in die Oberrealschule der Franckeschen Stiftungen ging“, so Jürgen Hermann, der diese Geschichte bereits für zwei Bücher recherchiert hat.
Der Magdeburger Fräsdorf gründete als Schüler gemeinsam mit seinem Schuldirektor Franz Hammerschmidt 1896 den Halleschen Fußballclub als Schulmannschaft der Franckeschen Stiftungen. Emily war damals 16 Jahre alt, Oscar Fräßdorf 18. „Emily wollte auch, dass eine Mädchenfußballmannschaft in den Franckeschen Stiftungen gegründet wird“, sagt der frühere Professor für jüngere Geschichte, der bis zu Wende an der damaligen Pädagogischen Hochschule gelehrt hatte.
Auf dem Damen-Kickerteam wurde nichts - aber Emily und Oscar heirateten nach 1900.
„Der einzige deutsche Fußballclub, der seine jüdischen Mitglieder nicht an die Gestapo geliefert hat“
Emilys Bruder Siegfried Weddy-Pönicke war ebenfalls fußballbegeistert und kickte zunächst beim HFC. Doch im Jahr 1900 gründete er den Halleschen FC Wacker, „den einzigen deutschen Fußballclub, der seine jüdischen Mitglieder nicht an die Gestapo geliefert hat“, so Hermann. Denn die Familie Weddy-Pönicke war jüdischen Glaubens. Doch empfunden hätten sie sich selbst in erster Linie als Deutsche und als Hallenser, erklärt der Experte.
Im Ersten Weltkrieg kam Oscar Fräßdorf ums Leben und seine Emily heiratete nie wieder. „In den 1920er Jahren führte Emily das Geschäft für Damen-Unterwäsche und Damen-Bekleidung“, hat Hermann herausgefunden. Das gut gehende Geschäft wurde jedoch am 1. April 1933 im Rahmen des Boykotts der eben an die Macht gekommenen Nationalsozialisten in besonders übler Weise beschädigt.
In der Mitteldeutsche Nationalzeitung erschien ein Werbeplakat von Emily
„In der Mitteldeutsche Nationalzeitung erschien ein Werbeplakat von Emily, auf das die Zeitung den berüchtigten Spruch aufbrachte: Geh nicht beim Juden zum Einkauf“, so Hermann. Vor dem Geschäftshaus war die SA postiert und 1935 sei die Familie enteignet worden.
Für einen Neubau in der Gustav-Anlauf-Straße, der über einen Hof mit dem Kaufhaus in der Leipziger Straße verbunden ist, sucht Investor Volker Gondrom einen Namen. „Ein erstgenannter Vorschlag, der zur Realisierung kommt, wird mit 1.000 Euro belohnt“, verspricht er. Der Name soll auch den engen Bezug zur Rathausnähe deutlich machen. Fast 40 Vorschläge sind bereits eingegangen. Volker Gondrom ist Geschäftsführer der Gondrom-Holding, die auch Besitzerin des Geschäftshauses in der Leipziger Straße 6 ist. Das Unternehmen hatte das Haus bereits kurz nach der Wende gekauft und zeitweise eine Buchhandlung in den Räumen betrieben. In den kommenden zwei Jahren soll das Haus nun saniert werden.
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Diese Geschichte hat der Historiker auch in seinem Buch „Mythos Hallescher FC Wacker“ beschrieben, das er bereits im Vorjahr auf der Leipziger Buchmesse vorgestellt hat. Auch 2020 war er zu einer Lesung nach Leipzig eingeladen - bekanntlich ist die Buchmesse jedoch wegen des Corona-Virus abgesagt.
„Ich bin zu Forschungszwecken auch weiterhin in Halle zu Gast“
„Ich bin zu Forschungszwecken auch weiterhin in Halle zu Gast“, sagt Jürgen Hermann. Im Stadtarchiv und in der Stasi-Unterlagenbehörde arbeitet er weiterhin am Thema hallesche Fußballgeschichte. Denn da gibt es noch viele spannende Geschichten zu erzählen wie die von der fußballbegeisterten Familie Weddy-Pönicke.
Etwa die des früheren Dekans der medizinischen Fakultät der Uni Halle, Theodor Brugsch, der den HFC Wacker bei einem Turnier in Dresden betreut hatte und so begeistert von den Kickern war, dass er später sogar ihr Mannschaftsarzt wurde. Von 1927 bis 1935 sei er Dekan in Halle gewesen, bis er von den Nazis aufgrund seiner jüdischen Ehefrau entlassen wurde.
In den Archiven hat Jürgen Hermann schon viele Unterlagen und Fotos gefunden. Eines jedoch leider noch nicht: ein Foto von Emily Weddy-Pönicke, der Seele des Kaufhauses in den 1920er Jahren. (mz)
