"Setz dich neben mich" "Setz dich neben mich": Ehemalige nach 50 Jahren wieder im Klassenzimmer vereint

Halle (Saale) - Vor 50 Jahre haben sie ihren Klassenraum im heutigen Cantor-Gymnasium das letzte Mal betreten. Doch manche Dinge ändern sich nie. „Komm her, Markus, setz dich neben mich“, ruft einer der damaligen Mitschüler der 12b5. Schnell spurtet der Gerufene zur letzten Bankreihe. Die Plätze am Lehrertisch bleiben leer. „Ganz vorn wollte schon früher niemand sitzen“, sagt eine Frau und lacht.
„Wie ein Phönix aus der Asche": Ehemalige reflektieren Zeit in Halle
Es ist das dritte Klassentreffen, zu dem die ehemaligen Schüler zusammen kommen. Viele der damals 32 Abiturienten der EOS Adolf Reichwein leben seit Langem nicht mehr in Halle. So wie Isolde Paris, die Frau des Malers Ronald Paris. Sie ist zum Studieren nach Berlin gezogen, Landschaftsarchitektin geworden und lebt heute immer noch in der Nähe der Hauptstadt. Die Saalestadt besucht sie dennoch häufig - und ausgesprochen gern. „Halle hat sich seit der Wende wie ein Phönix aus der Asche entwickelt“, sagt Paris.
Das Stadtbild habe sich erheblich nach der Wende verbessert. Heute würden viel mehr Menschen in den Cafés und Gaststätten der Innenstadt sitzen als früher. „Halle war für mich aber schon immer eine Musenstadt“, sagt Paris. Sie erinnert sich, dass sie mit der Schule einmal pro Monat das Theater oder die Oper besucht hat. „Ich habe sogar einmal Klavier im Händelhaus gespielt“. Heute kehrt sie spätestens zu den Händelfestspielen jährlich in ihre alte Heimat zurück.
Nach 50 Jahren wieder im Klassenzimmer: Vortrefflich in der Vergangenheit schwelgen
So positiv wie Isolde Paris blicken jedoch nicht alle damaligen Klassenkameraden in die Vergangenheit und bewerten auch das heutige Halle anders. „In der Schule gab es einen straffen Lehrplan“, sagt Heinz Schmerschneider. Wer das Abitur ablegen wollte, musste nach der achten Klasse mindestens einen Durchschnitt von 2,0 erreichen. Dann zählte man zu den Schülern, die später studieren sollten. Schmerschneider sowie drei andere Klassenkameraden sind nach der Schule in den Westen geflüchtet. Zwei weitere Abiturienten haben die DDR per Ausreiseantrag verlassen.
Schmerschneider ist nach der Wende und mit einem Jura-Abschluss in der Tasche nach Halle zurückgekehrt. Sein Blick auf die Stadt ist kritischer. „Ich finde Halle ist in den vergangenen Jahren stehengeblieben“, sagt der 69-Jährige. Im Vergleich zu anderen Städten dieser Größe fehle es in Halle an Kaufkraft. „Das sieht man an den leerstehenden Geschäften in der Innenstadt“, sagt er. So wie diese beiden, Isolde Paris und Heinz Schmerschneider, erzählen auch die anderen ihre persönliche Geschichte und ihre Sicht auf das Leben. Gemeinsam können sie vortrefflich in der Vergangenheit schwelgen. (mz)