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Selbsthilfegruppe Angehörige psychisch Kranker Selbsthilfegruppe Angehörige psychisch Kranker: Getrieben von bösen Stimmen

Von Kai Gauselmann 16.12.2003, 18:41

Halle/MZ. - Am Anfang dachte Dorothea Lambert (Name geändert), es sei nur vorübergehend. Dann kam der Tag, als ihre Mutter sah, wie aus dem Muster des Wohnzimmerteppichs Tiere wuchsen. Große Tiere, gefährliche Tiere, Tiere, die ihr Angst machten. Ihre Mutter flüchtete, lief nur mit einem Nachthemd bekleidet durch die Straßen der Stadt. "Da musste ich mit ihr in eine Nervenklinik."

Zehn Jahre ist das nun her, heute lebt ihre Mutter in einer Einrichtung für betreutes Wohnen. Ausgebrochen war die Krankheit, eine Schizophrenie (siehe "Halluzinationen und Traurigkeit"), vor gut 20 Jahren. Die Mutter, damals 50 Jahre alt, wurde geschieden, zog um und kam in die Wechseljahre. Das alles macht die Tochter verantwortlich für die Erkrankung ihrer Mutter. "Wenn man von mehreren Dingen gleichzeitig belastet wird, zu viele Probleme hat, dann bricht man irgendwann zusammen."

Zunächst fing es harmlos an, die Mutter wirkte lediglich zerstreut, mal verwirrt. Aber schnell wurde es immer schlimmer. "Meine Mutter hat mit Menschen geredet, die nicht da waren, und sie hörte Stimmen." Die Stimmen indes sind ihr wohl vertraut, es sind die des ehemaligen Ehemannes und ihres Vaters. "Die rufen sie und versuchen sie zu dirigieren." Harmlos gehe das nicht ab. "Die Stimmen sagen ihr immer, sie sei nichts wert, sie soll sich umbringen", erklärt Dorothea Lambert. Entkommen könne die Mutter den schlimmen Stimmen nicht. "Die kommen immer mit, egal wohin sie geht." Linderung bringen ihr Medikamente, Dorothea Lamberts Mutter bekommt Psychopharmaka. Die hemmen die Schizophrenie, denn sie beeinflussen den Stoffwechsel im Gehirn. "Die Symptome werden dadurch gedämpft", sagt Dorothea Lambert, "damit aber auch der gesamte Mensch eingeschränkt."

Im täglichen Leben brauche ihre Mutter jetzt stets Hilfestellung. "Mit Geld etwa kann sie nicht umgehen, da muss man ihr helfen." Wenn die Schizophrenie auch behandelt wird, eine Heilung ist nicht in Sicht. "Die Krankheit wird sie nie los", sagt Dorothea Lambert. Sie sieht ihre Mutter oft und gern, sagt aber auch: "24 Stunden am Tag könnte ich sie nicht um mich haben, das würde ich nicht schaffen. Ich muss mich auch zurückziehen können."

Ruth Klager (Name geändert) hat ähnliche Erfahrungen gemacht, allerdings mit ihrer Tochter. Sie erkrankte an einer Schizophrenie schon im Alter von 14 Jahren. Die zweite Tochter hatte sich gerade umgebracht, und die Wende kam - offenbar zu viele Belastungen für die Minderjährige. "Sie bekam plötzlich Halluzinationen, sah Dinge, die nicht da waren." Solche Erkrankungen gehen auch an Angehörigen nicht spurlos vorüber.

"Es ist ein Mitleiden", sagt Ruth Klager, "ich kann ja nur zusehen, ich kann ihr nicht helfen." Diese Hilflosigkeit wachse sich zu einer enormen Belastung aus. Es gibt einen Punkt, wo man die Segel streichen will." An diesem Punkt nahm Ruth Klager aber Kontakt zur Selbsthilfegruppe Angehörige psychisch Kranker auf. "Wenn ich die Gruppe nicht gehabt hätte ...", sagt sie bedeutungsvoll. In der Runde anderer Betroffener, momentan sind es gut 30, fand sie aber Halt und Trost - schon durch das Bewusstsein, nicht alleine zu sein. "In der Selbsthilfegruppe merkt man, dass man nicht der einzige ist mit diesem Problem: Es gibt viele, bei denen das so ist."