Schwimmen Schwimmen: Allein auf weiter Flur
Halle (Saale)/MZ. - Die wenigen Sekunden auf der Treppe werden für Halles Marathon-Schwimmerin zur Qual: Im Zeitlupen-Tempo befördert Sabrina Kahl ihre bleischweren Glieder die Stufen abwärts von ihrer Schule, dem Sportgymnasium, auf den Hof. Einfach alles tut der Elftklässlerin weh. "Hoffentlich kann ich mich am Freitag wieder normal bewegen", sagt sie stöhnend. Denn dann ist der Abi-Ball ihres Freundes Florian Groß - Torwart bei den A-Junioren des HFC.
Dass sie sich dieser Tage mit einem Muskelkater herumplagen muss, hat die 19-jährige Athletin wohl geahnt. Aber nicht, dass er so heftig ausfällt. Doch die 25 Kilometer am Sonntag auf dem Rechtecks-Kurs im Rostocker Hafen waren auch für sie eine Premiere. Die durchaus gelang: In fünf Stunden und 36 Minuten unterbot sie bei den deutschen Freiwassermeisterschaften die WM-Norm des Verbandes um sechs Minuten. Schade nur, dass drei ihrer Konkurrentinnen noch schneller waren. "Trotzdem, das war eine ganz starke Leistung. Vielleicht reicht es sogar für eine EM-Nominierung", sagt Trainer Christian Jendricke.
Damit ist er auch schon bei dem Thema, warum sein Schützling überhaupt vom Becken ins offene Gewässer umgestiegen ist. Zuletzt schlugen in der Halle immer öfter andere vor Sabrina Kahl an. Auch ihr sechster Platz bei den deutschen Meisterschaften über 400 Meter Lagen war zu wenig, um sich für internationale Aufgaben anzubieten. Das Freiwasser scheint da eine Alternative. "Sicher nicht für jeden, aber für Sabrina schon. Sie hat das Zeug dazu," sagt Jendricke.
Was aber ist das für "Zeug", das Sabrina Kahl zum Freiwasserschwimmer macht? "Ich kann nicht aufgeben", sagt die Sportschülerin über sich. Und sie beherrscht die Kunst, alle Gedanken auszuschalten. Dass sie in dem ölig trüben Wasser des Rostocker Hafenbeckens nicht einmal mehr die Füße ihrer Vorschwimmerin als Orientierung sehen konnte, "habe ich vorher gar nicht wissen sollen", sagt die Schwimmerin. Denn was die Wasserqualität betrifft, ist sie nicht schmerzfrei. Das Gleiche gilt für die Temperatur. Durch konstant 27 Grad in der Halle verwöhnt, musste Sabrina Kahl diesmal mit 18 Grad klarkommen. Da half nur ganz viel Vaseline.
"Gefroren habe ich tatsächlich nicht", sagt Sabrina Kahl. Trotz der vielen Stunden, die sie unterwegs war. Dafür "ist es manchmal ganz schön öde, so lange am Stück zu schwimmen". Anfangs habe sie sich auf ihre Konkurrentinnen konzentriert. Und sie erfreute sich am Anblick ihrer Eltern am Rand des Hafenbeckens. Zudem erwies sich das Essenfassen für den Neuling als echte Herausforderung. 18 Mal steuerte sie die Verpflegungsstelle an. "Vor allem Durst hatte ich", erzählt die SV-Athletin. Vier Getränkeflaschen mit 1,5 Litern Inhalt hat sie gebraucht - aufgeteilt auf viele kleine Pappbecher. Dazu gab es einige Beutel mit einem Kohlenhydrat-konzentrierten Gel, das sofort ins Blut übergeht, eine Tafel Schokolade, Müsliriegel und Bananen. Drohte auf längeren Solopassagen dann doch Langeweile aufzukommen, war Musik das Gegenmittel. "Ich habe gesungen. Nicht laut, sondern nur in meinem Kopf. Alles Lieder, die powern", sagt die Schwimmerin.
Allein auf weiter Flur - die Situation kennt Sabrina Kahl aus dem Training. Wenn ihre Teamgefährten nach fünf, sechs Kilometern aus dem Wasser steigen, hängt sie meist noch zwei bis drei dran. Nur der Trainer ist dann noch dabei.
Das kann sich allerdings ändern. Denn auch so manch anderer Beckenschwimmer, der den Sprung in die erste Reihe verpasst, könnte im olympischen Freiwasser eine Perspektive sehen. Das hofft zumindest Jendricke, die rechte Hand von Halles Chefcoach Frank Embacher. Was künftig hilft: "Mit der neuen Schwimmhalle bekommen wir auch einen Strömungskanal, haben also gute Voraussetzungen für unser Training."