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Schädlingsbefall in der Marienbibliothek Halle Schädlingsbefall in der Marienbibliothek Halle: Hochgiftiges Gas soll Lutherbibeln retten

Von Michael Falgowski 21.05.2015, 20:12
In der Marienbibliothek hat der Holzwurm Spuren hinterlassen: Holzmehl im Regal und die Ausfluglöcher des Nagekäfers in den Deckeln.
In der Marienbibliothek hat der Holzwurm Spuren hinterlassen: Holzmehl im Regal und die Ausfluglöcher des Nagekäfers in den Deckeln. Silvio Kison Lizenz

Halle (Saale) - Die Marienbibliothek, Deutschlands älteste und größte Kirchgemeindebücherei und ihr Bücherschatz von internationalem Rang sind gefährdet: Der Holzwurm frisst sich durch die rund 36.000 wertvollen Bände der bereits vor über 450 Jahren begründeten Sammlung. „Immer mehr Bücher sind betroffen. Darunter wertvolle Schriften der Reformationszeit mit unwiederbringlich handschriftlichen Einträgen aus dieser Zeit“, sagt Anke Fiebiger, die Bibliothekarin der Marktgemeinde. Nun soll eine Radikalkur dem Schädling vernichten. Der historische Bibliotheksraum und das Archiv werden ab Freitag mit einem hochgiftigen Gas befüllt. So sollen Eier, Larven und der Nagekäfer vernichtet werden.

Betreten streng verboten

Seit gestern versperrt ein Bauzaun den Zugang zum 1889 eröffneten Bibliotheksbau mitten in der Stadt. Ein Schild mit einem Totenkopf, das starke Symbol der Schädlingsbekämpfung, warnt eindringlich vor dem Betreten des Gebäudes. Drei Tage lang, bis Montag, verteilen Ventilatoren das Gas Sulfuryldifluorid (SF) überall in den Regalreihen. Insgesamt 1.480 Kubikmeter. „Das giftige, geruch- und farblose Gas wird seit den 1960er Jahren in den USA eingesetzt, um Termiten zu vernichten. Seit 2002 verwenden wir es, um Holzschädlinge zu bekämpfen. Denn es reagiert nicht mit Oberflächen wie Farbpigmenten oder Pergament. Und es bleiben keine Rückstände zurück“, sagt Marco Müller, Geschäftsführer von Groli Schädlingsbekämpfung. Das Dresdener Unternehmen ist eines von deutschlandweit nur drei, die solche Präzisionsbegasungen vornehmen. Zuletzt hat die Firma beispielsweise russische Ikonen in einem Hauptzollamt behandelt.

Mit Gammastrahlen gegen Larven

Gestern haben Müller und zwei Mitarbeiter damit begonnen, die großen Fenster und Türen mit gasdichter Spezialfolie abzudichten. Von einem großen Gasdruckbehälter wurden Schläuche in die Bibliothek verlegt, durch die das SF strömt. Außerdem wurden sogenannte Prüfkörper ausgelegt. Diese genormten Holzblöcke sind von der Materialprüfanstalt Eberswalde mit drei Holzbocklarven bestückt worden. Sind sie nach rund 72 Stunden Gaseinwirkung tot, gilt auch die Bücherei als „holzwurmfrei“. Das ist wichtig. „Eine einzige Larve frisst im Jahr so viel, wie in Espressotasse passt“, sagt Müller. Er schätzt, dass es Tausende Larven sind. Schon immer in der 450-jährigen Geschichte der berühmten Büchersammlung hat der Holzwurm für Kahlschlag gesorgt. Im Sommer 2012 aber hatte Bibliothekarin Anke Fiebiger zum ersten Mal vermehrt das verräterische Holzmehl und frische Fraßgänge in Papier und Holzeinbänden bemerkt. Mit großem Aufwand wurden deshalb 350 Bücher als befallen identifiziert und mit Gammastrahlen beschossen - so sollte die Erbinformation des Nagekäfers zerstört werden.

„Doch die punktuelle Bekämpfung konnte die weitere Ausbreitung nicht verhindern“, sagt Bibliothekarin Fiebiger. Finanziert von Landesverwaltungsamt, Freundeskreis und Kirche, soll die Gasbehandlung komplett „aufräumen“. Und so wahre Schätze retten. Das älteste Buch der Marienbibliothek ist eine Handschrift aus dem 11. Jahrhundert. Das sicher beeindruckendste Buch dürfte das Psalterium Davidis sein, ein Handdruck aus dem Jahr 1527. Neben Bibeln mit Handschriften Luthers gehören wertvolle historische wissenschaftliche Bücher, aber auch hallesche Kirchenbücher dazu, auch jenes mit dem Taufeintrag Händels. Die wertvollsten Bände werden derzeit in einem Luftdichten Stickstoffzelt behandelt. (mz)

Marienbibliothek wird abgedichtet.
Marienbibliothek wird abgedichtet.
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Bibliothekarin Anke Fiebiger und Marco Müller bei den Vorbereitungen.
Bibliothekarin Anke Fiebiger und Marco Müller bei den Vorbereitungen.
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