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Rudern Rudern: In der Warteschleife für London

Von GOTTFRIED SCHALOW 25.04.2012, 20:31

Halle (Saale)/MZ. - Julia Lier schwört, dass es in Berlin ein paar Grad wärmer, auf jeden Fall angenehmer und sonniger ist. Mit Schrecken nimmt sie zur Kenntnis, dass daheim in Halle immer noch mal für ein paar Stunden am Tag die Heizung aufgedreht werden muss. "Schöne Aussichten", sagt sie da nur. Denn ab nächster Woche ist sie endlich mal wieder in Halle, bei ihrem Freund Chris Hajek, bei der großen Ruder-Familie am Kanal und bei ihrem Heimtrainer Bernd Lindner. Endlich mal wieder daheim nach einem Vierteljahr fast ununterbrochener Trainingslager und Wettkämpfe. "Ich freue mich drauf, auch wenn ich mir das alles ein bisschen anders vorgestellt hatte", sagt die 20-Jährige und lacht dabei.

Erst mal nur Zuschauer

Das Lachen ist ein gutes Zeichen, denn ebensogut könnte sie auch still in der Ecke sitzen und schlechte Laune verbreiten. Denn der Heimaturlaub ist auch eine schmerzliche Angelegenheit. Während sich sechs Kolleginnen aus dem Olympiakader am ersten Mai-Wochenende beim Weltcup in Belgrad erstmals mit der internationalen Konkurrenz auseinandersetzen, schaut Julia Lier erst einmal nur zu. "Die Enttäuschung, dass ich nicht dabei bin, war natürlich riesengroß. Da fragt man sich im ersten Moment schon, wozu die ganze Schinderei in den letzten Wochen gut war", sagt Julia Lier. Und dann mit einigem Abstand: "Vielleicht ist es auch ganz gut, dass ich mal die Chance habe, ein paar Tage auf andere Gedanken zu kommen."

Julia Lier wurde als vierfache Weltmeisterin in allen Nachwuchsklassen in den zehnköpfigen Olympiakader berufen. Von Anfang an war klar, dass nur sieben in London dabei sein können, und dass die achte den undankbaren Platz als Ersatzfrau bekommt. "Ich war die Jüngste und wollte es allen zeigen. Aber da haben mir die Älteren schnell zu verstehen gegeben, dass ich mich erst einmal hinten anzustellen habe", sagt Julia Lier über einen Lernprozess der ganz anderen Art. "Coolness", so drückt es Julia Lier aus, habe sie in den letzten Wochen und Monaten vor allem gelernt. Respekt auch vor Annekathrin Thiele beispielsweise, der mit Abstand besten deutschen Einer-Ruderin, die schon vor vier Jahren bei den Olympischen Spielen in Peking Silber im Doppelzweier gewonnen hat. Oder vor der schon 33 Jahre alten Britta Oppelt, die im Vorjahr Weltmeisterin im Doppelvierer war. "Ich bin ja zum ersten Mal in diesem Kreis dabei, alles war neu für mich, und ich war ganz allein auf mich gestellt", sagt Julia Lier fast entschuldigend.

Generationswechsel steht an

Julia Lier hat schnell gelernt. Das bestätigt auch Bundestrainer Sven Ueck, der in Wittenberg geboren ist, zum Rudern nach Halle kam und 1990 Junioren-Weltmeister im Achter war. "Der Sprung von den Junioren in einen Olympiakader ist richtig schwer. Viele sind daran schon zerbrochen. Aber Julia Lier schafft das ganz bestimmt, sie hat noch mal einen richtigen Leistungssprung gemacht."

Ueck sagt auch, dass Julia Lier noch lange nicht aus dem Rennen um die Olympiaplätze ist. "Wir warten jetzt Belgrad ab. Dann werden die Karten neu gemischt. Auf jeden Fall ist ja noch der Platz im Einer frei." Der stünde eigentlich Annekathrin Thiele zu, doch Ueck sieht diese lieber zusammen mit Britta Oppelt wegen der größeren Medaillenchancen im Doppelzweier.

Julia Lier muss abwarten, Geduld steht im Trainingsplan. Und wenn es doch nicht für London reicht? Sven Ueck macht Mut: "Julia Lier gehört die Zukunft, ihre Zeit kommt noch." Denn nach London steht zwangsläufig ein Generationswechsel an.