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Plötzlich Polizist Plötzlich Polizist: Vom Dachdecker zur Ordnungsmacht

Von Dirk Skrzypczak 14.06.2017, 08:00
Christian Rupprecht kontrolliert vor dem Blitzer-Einsatz die Linse der Kamera.
Christian Rupprecht kontrolliert vor dem Blitzer-Einsatz die Linse der Kamera. Holger John

Halle (Saale) - Es ist kurz nach 13 Uhr, Dienstbeginn für die Spätschicht im städtischen Polizeirevier an der Fliederwegkaserne. Christian Schade (31) und Christian Rupprecht (27) treffen sich im Besprechungsraum.

Die beiden Männer sind zur Geschwindigkeitskontrolle eingeteilt. Sie schwanken zwischen dem Böllberger Weg und der Nordstraße. Beides sind Unfallschwerpunkte, letztlich wählen sie den „Bölli“.

Vor einigen Tagen waren sie mit dem Blitzerfahrzeug schon einmal dort. In fünf Stunden ertappten sie 155 Raser. „Die Autofahrer verteufeln uns zwar. Aber unsere Arbeit ist wichtig“, sagt Rupprecht, bis vor wenigen Wochen noch stellvertretender Leiter in einem Supermarkt. Beide Hallenser sind Wachpolizisten und seit dem 1. Juni offiziell im Dienst.

Vier Frauen und 16 Männer verstärken Polizeidirektion Süd

Vier Frauen und 16 Männer verstärken nach einer dreimonatigen Ausbildung das Personal der Polizeidirektion Süd mit ihren Revieren. Fünf Wachpolizisten, darunter eine Frau, arbeiten in Halle. Ihr Anstellungsvertrag ist auf zwei Jahre begrenzt. Alle haben danach die Chance, eine reguläre Laufbahn bei der Landespolizei einzuschlagen. „Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass ich mal bei der Polizei lande - als Hüter des Gesetzes“, sagt Rupprecht mit einem breiten Grinsen. Als junger Mann sei er kein Kind von Traurigkeit gewesen, „aber irgendwann wird man halt erwachsen“.

Irgendwann hatte er gehört, dass Sachsen-Anhalt Wachpolizisten sucht, die Geschwindigkeitsmessungen durchführen oder Schwerlasttransporte begleiten. Wichtige Aufgaben, die die anderen Kollegen im Revier entlasten und so die Personalnot bei der Polizei lindern. Für harte Einsätze oder aber die Strafverfolgung werden die Wachpolizisten nicht eingesetzt. Und statt einer Dienstwaffe bekommen sie nur Pfefferspray zur Gefahrenabwehr - anders als in Sachsen.

„Ich bin froh, dass ich nicht mehr auf dem Bau bin“

„Ich finde es richtig, dass wir nach drei Monaten keine Waffe erhalten. Ganz ehrlich, die Ausbildung war dafür zu kurz“, meint Christian Schade. Sieben Jahre hatte der Familienvater als Dachdecker gearbeitet, ist auf Montage kreuz und quer durch Deutschland gezogen und hatte seine Familie nur an den Wochenenden gesehen.

„Ich bin froh, dass ich nicht mehr auf dem Bau bin, wobei es nicht einfach war, die ganzen Vorschriften und Paragrafen zu lernen.“ Nun ist er gespannt, wie die nächsten Monate so ablaufen, wie es sich anfühlt, Polizist zu sein. „Dann entscheide ich, ob ich eine Ausbildung zum mittleren Dienst einschlage“, sagt Schade, der mit Uniformen und der Befehlshierarchie keine Probleme hat, wie er erzählt. „Ich habe vier Jahre bei der Marine gedient.“

Hilfs-Sheriffs oder Polizisten zweiter Klasse?

Die Wachpolizisten seien jedenfalls willkommen, erklärt Revierleiter Karsten Thärigen. In der Öffentlichkeit war zuletzt von Hilfs-Sheriffs oder Polizisten zweiter Klasse die Rede. Thärigen schüttelt den Kopf. „Es gibt keinen Grund, sich über die Kollegen lustig zu machen. Denn das, was sie tun, ist wichtig.“ Allerdings sei das Interesse schon groß, was aus dem Experiment wohl werde.

„Die Kollegen sind erst ein paar Tage hier, da kann man wenig sagen.“ Er hoffe jedenfalls, dass möglichst viele Wachpolizisten auch nach Ablauf der zwei Jahre bei der Polizei bleiben. „Und quer in den Beruf einzusteigen, muss ja kein Nachteil sein“, sagt der Revierleiter.

Wachpolizisten bekommen ihren Einsatzplan per Mail

Die Wachpolizisten bekommen ihren Einsatzplan für die Woche per Mail. Pro Tag sind drei Messstellen aufgeführt. Wie viele sie davon ansteuern, entscheiden sie selbst. „Mehrere Stunden im Auto zu sitzen, daran muss man sich natürlich erst gewöhnen. Langweilig ist es aber nicht“, erzählt Christian Rupprecht. Zumal der Bürger auf der Straße nicht unterscheiden kann, was für einen Polizist er da vor sich hat.

„Bislang gab es keine Probleme. Ein Passant hat sich beschwert, dass wir den Messwagen falsch abgestellt hätten. Das stimmte aber nicht.“ Polizeialltag eben im Großen wie im Kleinen.

Arbeitsverhältnis endet nach zwei Jahren

Die Wachpolizisten sind ein zeitlich befristetes Projekt der Landesregierung, um dem Personalnotstand bei der Polizei schnell entgegenwirken zu können. Die 20 Stellen im Bereich der Polizeidirektion Süd, zu der neben Halle auch der Saalekreis, der Burgenlandkreis und der Kreis Mansfeld-Südharz zählen, waren im Januar dieses Jahres ausgeschrieben worden. 130 Frauen und Männer hatten sich beworben, 20 bekamen in einem Auswahlverfahren dann den Zuschlag.

Drei Monate betrug danach die Qualifizierung bei der Landesbereitschaftspolizei sowie durch das Technische Polizeiamt. Die Kandidaten büffelten vor allem Theorie. Seit dem 1. Juni versehen sie ihren Dienst in den Revieren des PD-Zuständigkeitsbereichs.

Das Arbeitsverhältnis ist auf zwei Jahre befristet. Die Verträge können nicht verlängert werden. Die Wachpolizisten können aber in den regulären Polizeidienst wechseln, müssen dafür aber die notwendige Ausbildung machen. Wachpolizisten dürfen nur im Rahmen des Jedermannrechts im Notfall Gewalt anwenden - so wie jeder Bürger auch. (mz)

Christian Rupprecht (links) und Christian Schade sind seit 1. Juni im Dienst.
Christian Rupprecht (links) und Christian Schade sind seit 1. Juni im Dienst.
Holger John