Open Air-Konzert auf der Peißnitz Open Air-Konzert auf der Peißnitz: "Element of Crime" vor 3.000 Besuchern in Halle

Halle (Saale) - „Guten Abend, wir sind Element of Crime, und spielen jetzt ein Lied.“ So eröffnet Sänger Sven Regener, Jahrgang 1961, das Freiluftkonzert in Halle. So pflegt man Attitüden, so schleicht man sich mit einem wunderbaren Minimalismus in die Herzen. Ein Siegeszug der Antihelden.
3.000 Fans sind laut dem Veranstalter Mawi-Concert gekommen, begonnen wird mit einem schnoddrig-melancholischen Klassiker, der sofort ins Blut geht: „Ein Blick war ein Versprechen / Nichts als Lächeln war die Welt / Der Mensch war gut / Damals hinterm Mond“.
Schon dieser erste Song, zu finden auf dem gleichnamige Album „Damals hinterm Mond“, wuchert unter dem herbstlichen Himmel mit der vollen Dosis: Unsere Endlichkeit, das allgegenwärtige Verglühen, alles geschnürt in herrlich trägen Melodien. Rumpelnd, schräg, weise. Die Band wird umhüllt von atmosphärisch blauem Licht, derweil die rauchige Stimme des Sängers zerrt, kratzt, knarrt und begeistert. Element of Crime wäre nicht inmitten des Mantras vom ewigen Wachstum zu einer Art Protestband gereift, wenn Regener nicht auch solcherlei Scherze parat hätte, gleich nach dem ersten Lied verabschiedet er sich: „Wiedersehen. Tschüss! Okay, eins spielen wir noch.“
Und dann donnert, schmettert und kracht „Draußen hinterm Fenster“ mit einem fantastischen Trompetenspiel ins staunende Rund: „Wir sitzen hier fest / Was auch immer geschieht / Verwirrt, träge und verliebt.“ Was für ein Beginn! Liebe, Leben, Tod, alles ist sofort da. Stillstand, Sarkasmus und Verzweiflung, Regener rudert mit den Armen. Er verkündet gleich noch den heutigen „Internationalen Tag des Trompetenspiels“. Stimmt das?
Man erinnere sich an diese philosophischen Zeilen aus dem provinzliebenden Song „Delmenhorst“: „Erst wenn alles scheißegal ist / Macht das Leben wieder Spaß“. Auch so eine Attitüde. Über das jüngere „Rette mich“ geht es zu „Das alles kommt mit“ und „Mehr als sie erlaubt“. Der Fundus jener metaphorisch poetischen Meisterstücke, die das Publikum in einen tranceähnlichen Zustand versetzen können, ist im Laufe der 33-jährigen Bandgeschichte gewaltig angewachsen.
Diese Songs öffnen Bewusstseinsströme fernab des begrifflichen Denkens, man gleitet hinein in den Schmerz der Welt – und kann ihn ertragen, gar genießen. So wirkt ein Element of Crime-Konzert enorm entwaffnend, man groovt sich ein in diesen melancholischen Flow. Und will ihn nicht mehr hergeben. Regener reißt die Arme nach oben, die Fäuste geballt, dann flüstert er murmelnd ins Mikrofon: „Romantik!“
Das sind Momente im weißen, roten oder auch mal gelben Bühnenlicht, die in all ihrer skurrilen Art grundehrlich und ungeschminkt wirken. Das sind Momente, die all das feiern, was uns täglich begegnet: Das Scheitern und den Seelenschrott, „Blaulicht und Zwielicht/ Und ein kleines bisschen Krieg“. Und immer wurzelt das Ganze in einer Aura der Gelassenheit, zwischen all diesen verzwirbelten Zeilen hängt etwas Religiöses.
Element of Crime spielen den Soundtrack zum fließenden Los- und Treibenlassen. Ist das Fatalismus? Nein, eher erwacht man aus den Songs kathartisch gereinigt. Die Kunst als Zwischenraum, der die Seele einmal kräftig durchatmen lässt – bevor es wieder in jene Kategorien geht, die uns die Welt sowohl ordnen als auch begrenzen.
Regener singt den konkret erzählenden Lindenberg-Song „Leider nur ein Vakuum“, sofort sorgt der Kontrast dafür, dass die assoziative Kraft seiner eigenen Lieder umso deutlicher auffällt. Regener spricht vom neuen Album. Am 5. Oktober soll es erscheinen, „Schafe, Monster und Mäuse“ wird es heißen, gespielt werden Auszüge daraus.
Es folgen „Am Ende denke ich immer nur an dich“, „Michaela sagt“ und „Weißes Papier“. Und Regener reagiert auf den begeisterten Applaus des Publikums immer in der gleichen kurzen und schrulligen Art: „Vielen Dank! Vielen Dank!“
Es ist, als würde er sich jedem Show-Gehabe verweigern wollen, als würde er wissen, dass sich die Moden, aber nicht die Zeiten ändern. So ist nicht nur die Qualität der Kunst, sondern auch der Stil der Performance zeitlos. Nachdem alle Hillbilly-Klänge, Blues-Anleihen, Trompeten- , Mundharmonika - und Gitarrensoli enden, nachdem „Alten Resten eine Chance“ und die Brecht-Reminiszenz „Surabaya Johnny“ in die Nacht entlassen, muss noch etwas gesagt werden. Herzlich muss es sein: Vielen Dank! Vielen Dank! Für diese einzigartige Musik.
(mz)
