Neustadt-Geschichten Neustadt-Geschichten: "Titanic" lief in der letzten Vorstellung

Halle (Saale)/MZ - Alles begann mit dem Film „Das Geheimnis des Notizbuches“, einem sowjetischen Kriminalfilm. Am 10. August 1982, 20 Uhr, lief der erste Film über die Leinwand des „Prisma“-Kinos im Zentrum von Neustadt. Das lange ersehnte Lichtspielhaus in Neustadt wurde mit Pomp eröffnet, was damals bedeutete: mit einer Defa-Festwoche.
Saal für Kultur
Kino, das gab es vorher nur in der Altstadt. Und Kultur spielte sich vor allem im nur 100 Personen fassenden Saal des Passendorfer Schlösschens, in den Schul-Aulen, der Klubmensa oder anderen Provisorien ab. Jetzt hatte Neustadt einen Saal für mehr als 400 Menschen, der auch rege für Einschulungen, Kinderveranstaltungen und anderes genutzt wurde. Die Geschichte des Neustädter Kinos haben zwei Neustädter von Anfang an miterlebt: Karl-Heinz Liebe war Vorführer, seine Frau Ingrid war Chefin an der Foyerbar.
„In der Eröffnungswoche war alles ausverkauft“, erinnert sich Ingrid Liebe. Und auch Prominente waren zu der Filmwoche gekommen, bei der internationale Filme gezeigt wurden: angefangen von der Polit-Szene bis hin zu den Schauspielern Wolfgang Winkler, Jaecki Schwarz und Renate Krößner, die gerade als Hauptdarstellerin des Streifens „Solo Sunny“ von sich Reden gemacht hatte und heute noch unter anderem im Tatort und anderen Fernsehfilmen zu sehen ist.
Von Anfang bis Ende
„Wir hatten als einziges Kino im Umkreis Breitbandtechnik“, sagt Karl-Heinz Liebe, der bis 1982 als Beleuchter beim Fernsehfunk gearbeitet hatte. Doch die Liebes, die schräg gegenüber des damaligen Prisma gewohnt hatten, hatten sich sofort beim Baustart für einen Job im Kino interessiert und sich beworben. So waren sie von Anfang an, vom 10. August 1982 bis zur letzten Vorführung am 31. Mai 1998, dort beschäftigt.
An den letzten Tag erinnert sich das Ehepaar freilich genauso gut wie an den ersten: „Die gesamte Belegschaft hat schwarz getragen“, sagt Ingrid Liebe. Und ihr Ehemann sagt mit Galgenhumor: „Wir sind mit der Titanic untergegangen.“ Denn der Streifen mit Kate Winslet und Leonardo DiCaprio war einer der letzten, die in Neustadt gezeigt wurden.
Puhdys zu Gast im Prisma
In den knapp 16 Jahren des Kinos hat das Ehepaar viel miterlebt. Die Ostrockband „Puhdys“ war hier zu Gast, ebenso ein Lama aus dem Zoo Halle - anlässlich einer Veranstaltung zum Kindertag. Zu Jugendweihen gingen Hunderte Mädchen und Jungen die Treppen zur Bühne hoch. „Und wir haben den Defa-Film ’Einer trage des anderen Last’ sehr oft vor Schulklassen gezeigt. Die Schüler mussten danach immer einen Aufsatz über den Film schreiben“, weiß Karl-Heinz Liebe noch genau.
Wie auch im öffentlichen Raum in Neustadt viel Kunst installiert wurde, so wurde auch das Foyer des Prisma vom späteren Burg-Rektor Ludwig Ehrler und weiteren Burg-Künstlern gestaltet - dabei wurde auch das Motiv des Prismas immer wieder aufgenommen. Für die Gestaltung erhielt Ehrler sogar 1983 den Architekturpreis des Rats. Als das Kino 1999 abgerissen wurde, wurde auch Ehrlers Kunstwerk mit zerstört.


