Neues Theater Halle Neues Theater Halle: In der Hand des Verbrechens

Halle (Saale) - Ein Finger genügt - bei diesem Mann. Sein ausgestreckter Zeigefinger kann töten: Jeder, auf den er zeigt, ist augenblicklich verloren. Oder - je nach Laune - auch mal erwählt. Und damit gleich zu Höherem berufen. Sogar mit seinem kleinen Finger kann dieser Ministerpräsident schon die höchste Gunst erweisen. Und die Puppen tanzen lassen: Aber nicht nur die üblichen Puppen, nein, auch solche Figuren, die sonst selber große Spieler, Strippenzieher, Generäle oder auch mal Regisseure sind. Doch ein einziger Fingerzeig kann genügen, um jeden von ihnen zum Kasper zu degradieren.
Wie so was funktioniert? Halles Star-Schauspieler Hilmar Eichhorn weiß es. Und probiert dennoch akribisch gerade an diesem scheinbar so nebensächlichen Detail herum. Schließlich muss er im Neuen Theater mal wieder einen richtigen Bösewicht spielen. Nein, Bösewicht trifft es nicht, denn es geht um einen Staatsverbrecher: Jenen Ministerpräsidenten in „Mephisto“, für den Hitlers Vize Hermann Göring das ziemlich genaue historische Vorbild ist.
NT-Vize-Intendantin Henriette Hörnigk hat für die neue Inszenierung, die nächsten Samstag Premiere feiert, eine Stückfassung geschrieben: Eine, die ziemlich nahe an Klaus Manns Roman aus dem Jahr 1936 orientiert ist. Wohl viel näher als der bekannte Film von 1981 mit Rolf Hoppe in der Schurken-Rolle. Der Mann, der in dieser Geschichte in die Hand des Verbrechens gerät, ist der Staatsschauspieler und Staatsschauspiel-Intendant. Gustav Gründgens, einer der berühmtesten deutschen Schauspieler aller Zeiten, hat für die Figur Pate gestanden: Als einer, dessen Mephisto-Darstellung in Goethes „Faust“ ihn zuvor auf der Bühne unsterblich gemacht hatte. Und interessant für die Propaganda der Nazis, die mit dem Morden zwar längst begonnen, aber sich noch nicht die gesamte zivilisierte Welt zum Todfeind gemacht hatten.
Der Mann, der in „Mephisto“ da so plötzlich in der Hand des Verbrechens zappelt, kann also gar nicht viel für seine schlimme Lage. Außer, dass er anfangs nicht merken will, dass er nur zappelt. Und dass er sich (verzeihliche Eitelkeit eines Künstlers?) zunächst sogar geehrt fühlt durch den Finger der Macht, der da so unerwartet gerade auf ihn zeigt.
Erschütternde Parallelen
Warum diesen „Mephisto“ heute spielen? Regisseurin Henriette Hörnigk, die auch Chef-Dramaturgin am NT ist, muss da kurz ausholen. „Gerade in dieser Zeit liegt ein jäher Bruch“, meint sie mit Blick auf 1936 - das Jahr, in dem das Stück spielt. Denn anders als in normalen Zeiten hätten „Überzeugungen damals plötzlich tödliche Konsequenzen“ gehabt.
Und zwar in diese wie in jene Richtung: In die der Täterschaft oder Mitschuld wie in die, zum Opfer zu werden. Oder sich in die - zuweilen tödlichen - Gefahren zu begeben, die mit der viel zitierten Zivilcourage zu tun haben: Alles Probleme, die dieser Tage offenbar wieder dringlicher werden. Und die auf unheimliche Weise auch aus anderen Weltgegenden plötzlich öfter auf uns zukommen.
Doch Henriette Hörnigk sieht die Parallelen ihres Stücks zu heute auch unmittelbar in der Bühnenwelt - und fast schon tagesaktuell: etwa mit Blick auf zwei fast gleichzeitige Rausschmisse von Theater-Chefs - in Novosibirsk wie in Rostock.
Der bisherige Intendant am Volkstheater der Hansestadt hatte kürzlich die Kulturpolitik in seiner Stadt in die Nähe zur Kulturzerstörung des Islamischen Staats (IS) gerückt - und damit vielleicht schon eine ähnlich heftige Ambivalenz ausagiert wie der Intendant im „Mephisto“-Roman. Und im Stück. Der nämlich ist hin und hergerissen zwischen seinen Fantasien von eigener Unantastbarkeit und seinen quälenden Ohnmachtsgefühlen.
Im NT wird diese Rolle Hagen Ritschel spielen. Wie körperlich spürbar er die Zerrissenheit seiner Figur auf die Bühne zu bringen weiß, wird schon in der Probenphase deutlich: Er zeigt den fatalen Mix aus Eitelkeit und Angst, der den Mephisto-Helden zum idealen Spielball der Macht macht.
Schlimmer Finger auch am Handy?
Hilmar Eichhorn - Ritschels Bühnen-Widerpart - zieht zum Verständnis von dessen Rolle den Vergleich zur DDR, wo ja auch viele mit der naiven (oder vorgeschobenen) Begründung in die Staatspartei eingetreten waren, dass man „nur so Einfluss zum Besseren nehmen“ könne: Eine Illusion auch seinzerzeit, als sich die Kulturpolitik rund um den „Bitterfelder Weg“ in seiner ideologischen Härte und menschlichen Unerbittlichkeit fast nahtlos angeschlossen hatte an die amtlichen Kunst-Diktate zumindest in der frühen Nazi-Zeit, in der „Mephisto“ spielt.
Gespannt darf man sein, ob im aktualisierenden Blick der Inszenierung neben den schlimmen Fingern alter Macht auch jener heute so allgegenwärtige, fast allmächtige Finger auftaucht, der auf berührungsempfindlichen Handy- und Tablet-Oberflächen mal so nebenbei vieles an bisheriger Kultur (für immer?) wegwischt. Und das vielleicht gar nicht mal so sehr zugunsten irgendeines verbrecherischen Willens! Sondern nur zugunsten des grenzenlos Banalen.
Premiere am 11. April, 19.30 Uhr, im großen Saal. 19 Uhr Stückeinführung. Noch Restkarten. Weitere Vorstellungen am 12. 18. und 30. April.


