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Nach Flucht aus Komfort-Knast Nach Flucht aus Komfort-Knast in Halle: Ein Blick hinter die Mauern des offenen Vollzugs

Von Dirk Skrzypczak 14.09.2018, 08:00
Gemütlich. Das Ambiente im offenen Vollzug soll die Frauen bewusst an die Freiheit erinnern, auf die sie hier vorbereitet werden.
Gemütlich. Das Ambiente im offenen Vollzug soll die Frauen bewusst an die Freiheit erinnern, auf die sie hier vorbereitet werden. Silvio Kison

Halle (Saale) - Auf dem Stuhl liegen T-Shirts fein säuberlich aufgestapelt. Der Schrank steht offen, das Bett ist zerwühlt. An der Wand hängen Bilder mit dem Logo von Dynamo Dresden. Sieht so das Zimmer einer Gefangenen im offenen Vollzug aus, die fliehen will? „Auf mich wirkt es eher so, als wollte sie nur schnell etwas besorgen“, sagt Hans-Jürgen Stach, Leiter der Justizvollzugsanstalt am Kirchtor.

Seit dem 2. August dieses Jahres war das Zimmer mit dem Charme einer Studentenwohnung in einer Villa neben dem „Roten Ochsen“ das Zuhause von Ines N., 55 Jahre alt, 2014 wegen Totschlags zu sieben Jahren Haft verurteilt. Seit Sonnabend war sie auf der Flucht. Am Donnerstagmittag wurde sie von Polizisten aufgegriffen. Sie befand sich in einer Wohnung, die zu ihrer früheren Szene gehört.

„Ich kenne sie. Sie hat auf mich einen vergleichsweise normalen Eindruck gemacht.“

„Ich kenne sie. Sie hat auf mich einen vergleichsweise normalen Eindruck gemacht. Und dass sich aus dem offenen Vollzug ein Gefangener absetzt, hatten wir seit Jahrzehnten nicht“, sagt der Leitende Regierungsdirektor Stach. Ines N., die aus dem südlichen Sachsen-Anhalt stammt, hatte im Alkoholrausch einen Bekannten getötet. Nach ihrer Verurteilung zu sieben Jahren Haft saß sie zunächst im Frauengefängnis in Luckau-Duben.

Nach dem Staatsvertrag zwischen Sachsen-Anhalt und Brandenburg werden verteilte Straftäterinnen aus Sachsen-Anhalt in Luckau-Duben untergebracht. Und dort stellte man Ines N. auch eine positive Sozialprognose aus und befürwortete den offenen Vollzug. „Auf diese Weise sollen Gefangene wieder schrittweise an das Leben in Freiheit gewöhnt werden“, sagt Stach. Zudem standen die Chancen gut, dass die 55-Jährige im Februar 2019 wieder gänzlich auf freien Fuß gewesen wäre.

Flüchtige in Halle: Im offenen Vollzug teilte sie sich eine Etage mit einer weiteren Gefangenen

Im offenen Vollzug teilte sie sich eine Etage mit einer weiteren Gefangenen. Hell und freundlich ist es in dem Gebäude. Zwölf Plätze gibt es in der Villa, nur zwei sind derzeit belegt. Rund ein Jahr bleiben die Frauen hier. Zwischen 4.45 und 5.45 Uhr ist die Nachtruhe vorbei. Anschließend gehen die Häftlinge zur Arbeit, Ines N. hatte eine Beschäftigung als Reinigungskraft gefunden.

Nach Feierabend melden sich die Gefangenen im offenen Vollzug an der Gefängnispforte zurück. Das Geld, das die Freigänger verdienen, kommt auf ein Konto der JVA und wird den Häftlingen zugeteilt. Gegen 20 Uhr werden die Tore der Villa verschlossen, Wärter gibt es hier nicht. Dennoch sind die Fenster vergittert. „Es bleibt schließlich noch immer ein Gefängnis“, sagt Stach.

Die Frauen können sich auf dem Grundstück frei bewegen. Zur Villa gehört ein Garten mit Teich, Sitzecke und Tischtennisplatte. Im Gebäude hat jede Frau ihr eigenes Zimmer, dazu gibt es Gemeinschaftsräume mit TV. 35 Programme werden über Kabel eingespielt. Zu viel Komfort? „Der offene Vollzug soll Menschen ein Stück ihrer Selbstbestimmung zurückgeben. Und die Statistiken sprechen für dieses Modell, weil nur wenige Häftlinge rückfällig werden“, sagt der Anstaltsleiter. Im offenen Vollzug müssen die Häftlinge selbst putzen. Sie können sich auch selbst etwas kochen. Der offene Vollzug für Männer befindet sich in Halle übrigens am Gefängnisstandort in der Frohen Zukunft.

Ines N. hätte Ausgang beantragen können. Bis zu 30 Stunden Freigang sind pro Monat erlaubt. Auch eine Art Hafturlaub, drei bis fünf Tage, wäre möglich gewesen. „Wir werden sie zu den Gründen noch befragen. Aber das Vertrauen, dass die Justiz in sie gesetzt hat, ist verloren“, sagt Stach. Deshalb müsse die 55-Jährige auch nach Brandenburg zurückkehren. Dort werde entschieden, wie es mit ihr weitergeht. Vermutlich wird Ines N. ihre Flucht teuer bezahlen und die volle Haftstrafe bis 2021 absitzen müssen. (mz)

Zum Gebäude gehört auch ein Garten mit einem kleinen Teich.
Zum Gebäude gehört auch ein Garten mit einem kleinen Teich.
Silvio Kison
In diesen Räumen wohnen die Häftlinge im offenen Vollzug. Die Einrichtung erinnert an ein Studenten-Wohnheim
In diesen Räumen wohnen die Häftlinge im offenen Vollzug. Die Einrichtung erinnert an ein Studenten-Wohnheim
Silvio Kison
Hans-Jürgen Stach steht am Eingang zum offenen Vollzug.
Hans-Jürgen Stach steht am Eingang zum offenen Vollzug.
Silvio Kison
Vor dem offenen Vollzug wurde die Villa als Verwaltungsgebäude der Haftanstalt genutzt. Seit dem 7. Juni 2004 werden hier Frauen untergebracht.
Vor dem offenen Vollzug wurde die Villa als Verwaltungsgebäude der Haftanstalt genutzt. Seit dem 7. Juni 2004 werden hier Frauen untergebracht.
Silvio Kison