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MZ-Reporterin im Selbstversuch MZ-Reporterin im Selbstversuch: So schwer ist Straßenbahnfahren

Von Sandy Schulze 31.07.2016, 06:00
So sieht er aus, der Hebel der Macht (o.). Und so sehen die aus, die noch nicht die perfekten Freunde der Straßenbahn sind (re.).
So sieht er aus, der Hebel der Macht (o.). Und so sehen die aus, die noch nicht die perfekten Freunde der Straßenbahn sind (re.). Günter Bauer

Halle (Saale) - Was wäre wenn. Zum Beispiel, wenn Geld bei der Wahl des Super-Flitzers keine Rolle spielen würde. Dann jagen bei jedem Gespräch schnell zig Namen durch die Gegend: Ferrari, Aston Martin, Tesla Model S in Silber Metallic. Irgendetwas mit Q5, 2 oder 7 - in Gedanken habe ich schon schnell den Abflug gemacht: Mein Traum ist rot-weiß, hat ein Idealmaß von 30 Metern Länge und locker Platz für mehrere Fußballmannschaften. Stellt sich eigentlich nur eine Frage: Tatra oder Niederflurwagen?

Die Antwort steht heute im Betriebshof Rosengarten schon bereit zur Abfahrt. So aufgeregt wie jetzt war ich zum letzten Mal vor meiner ersten Fahrstunde mit 18. Kein Wunder. Endlich wird sich mein Traum aus Kindheitstagen erfüllen: Einmal selbst eine Straßenbahn fahren.

Kühlen Kopf bewahren

Draußen brennt die Sonne auf der Haut. Wie soll ich da bloß einen kühlen Kopf bewahren? Zum Glück gibt es Andreas Lindenberg. Der 58-Jährige ist der Leiter der Fahrschule bei der Havag, hat seit 1983 Erfahrungen mit angehenden Straßenbahnfahrern und wird mir während meiner Fahrt über die Schulter schauen - und auf die Verkehrszeichen achten, denn die haben es ohne Übung in sich.

Zuerst fährt der Lehrer selbst und erklärt die wichtigsten Regeln und Knöpfe: Blinken, Türen öffnen und schließen, Scheibenwischer - alles klar. Noch scheint alles ganz einfach. Am Florian-Geyer-Platz vorbei geht es bis zur nächsten Kreuzung. Danach wird es ernst: „Jetzt sind Sie dran,“ sagt Andreas Lindenberg aufmunternd und ich rutsche mich auf dem Fahrersitz in Position. Fußpedale wie in den alten Tatra-Bahnen gibt es in dem Niederflurwagen nicht, gesteuert wird mit einem Hebel. Mit einer Bewegung nach vorn wird beschleunigt, beim Nachhintenziehen wird abgebremst. Ich bringe den Hebel in Position und los geht’s.

Wie schnell darf ich hier fahren?

„Wie schnell darf ich hier fahren?“, frage ich ratlos. Die Antwort überrascht mich: Außerorts sind bis zu 70 Kilometer pro Stunde erlaubt. Auch wenn ich meinem Fahrlehrer vollkommenes Vertrauen schenke: Tempo 50 bis 60 genügt mir trotzdem. Einen 30-Tonner durch die Gegend zu bewegen, verlangt mir einiges an Respekt ab. Ist die Straßenbahn mit Fahrgästen besetzt, sind es bis zu 48 Tonnen.

Ich kann mich während meiner Fahrt glücklich schätzen, keine Gäste an Bord zu haben. Nicht nur, weil ich befürchte, aus der Konzentration gerissen zu werden, sondern auch, weil ich das Abbiegen noch länger üben muss: „Nicht so schnell beschleunigen! Der Rest der Bahn muss auch noch um die Kurve!“, ruft Andreas Lindenberg.

Blick in den Außenspiegel

Weil ich eben nicht mit dem Auto oder dem Fahrrad unterwegs bin, ziehe ich einige Meter hinter mir her, die ich schlichtweg vergessen habe. Um es vorsichtig zu sagen: Meine potenziellen Fahrgäste im hinteren Teil der Bahn hätten einen stabilen Gurt sehr nötig gehabt. Beim nächsten Mal werfe ich schuldbewusst einen sorgfältigen Blick in den Außenspiegel.

Die Vollbremsung kommt einige Zeit später, nachdem es von der Haltestelle Schkopau/Bunawerke auf freier Strecke zurück in Richtung Ammendorf geht - und sie ist geplant. Nachdem es uns ordentlich durchgeschüttelt hat, geht es weiter. An einem Übergang lerne ich, dass das Verkehrsschild mit dem großen „L“ für „Läuten“ steht und koste es aus, ein langes „Bel-lel-lem“ durch die Gegend zu schicken. Um Anwohner nicht zu stören, darf ich an einer Stelle nur mit Tempo 10 leise die Schienen entlangschleichen.

Nach etwa 40 Minuten ist meine Fahrt beendet und Andreas Lindenberg nimmt mich noch auf eine Spritztour durch die Innenstadt mit. „Diese Fahrradfahrer. Das ist doch gefährlich!“, rufe ich als Mitfahrer. Und erinnere mich erst kurz später dran, dass ich das sonst selbst oft bin. (mz)